Avatar: The Way of Water

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Forumseintrag zu „Avatar: The Way of Water“ von Andretoteles


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Andretoteles (04.01.2023 11:00) Bewertung
Der Mensch als Mittel für den Zweck der Technik
Welches ist die erste Frage, die gestellt wird, nachdem es „Avatar – The Way of Water“ im Kino spielte? Wahrscheinlich diese: In welchem Format und welcher Bildrate wurde der Film gesehen? Der Diskurs verlagert sich im zweiten Teil der Avatar-Saga vollkommen vom Inhalt, von Cinematografie, von Kamera zu technizistischen Fragen nach HFR, 4D, 24fps, 48 fps oder 3D. Per se ist das erstmal nicht schlimm, würde hier nicht der Gesellschaft der Spiegel gezeigt werden. Oberflächlichkeiten und Aufmerksamkeitsästhetik haben längst die Oberhand gewonnen. Der auf die Spitze getriebene Eskapismus verdrängt das Alltägliche und das Reale. Im Kino soll und darf man aus der ernsten Wirklichkeit entfliehen, allerdings muss der humane, menschenzentrierte Fokus gewahrt und nicht das Technische reiner Selbstzweck werden. Analogien zum Videospiel sind nicht weit und es ist nachvollziehbar, dass dieser Film polarisiert. Ganz im Gegensatz zu Kants kategorischem Imperativ sind die Menschen/die Navi hier nur noch Mittel, um dem Zweck der möglichst spektakulären, polierten Künstlichkeit zu dienen.
Achtung Spoiler!
Neben der ganzen Debatte darüber, was Bildsprache beinhaltet und wie groß die Relevanz artifizieller Bilder sein soll, gibt es eine strenge Ideologie, die James Cameron mit seinem Film verfolgt. Die Familie als isolierter Schutzwall mit klassischen Rollenverteilungen und geschlechtsspezifischen Stereotypen prägen das Weltbild. Nach dem Tod des Sohnes kreischt und weint Neytiri, während Jake Sully kaum Emotionen zeigt und sich sogar herausnimmt, seiner Frau, der verzweifelten Mutter eines verstorbenen Kindes, die Schreie zu unterdrücken. Während sie traditionell überemotional dargestellt wird, wobei heftige Gefühle angesichts der Situation nicht unrealistisch erscheinen, bildet er den klassisch-männlichen, rationalen, kriegerischen Typus eines Mannes, der in dieser Form nicht mehr dem Zeitgeist entspricht. Cameron wagt sich hier zurück in archaische, urwilde Gefilde. All die Moderne, die er über die Technik transportieren möchte, trifft auf ein massiv konservatives, altbackenes Weltbild. Es entsteht ein riesiges Loch zwischen hypermodernem Stil und reaktionärem Inhalt, zwischen Vergangenheit und Zukunft.
Apropos Inhalt: Wie unglaublich interessant scheint diese Kultur der Meeresvölker. Handeln die Clans miteinander, was sagen die Tätowierungen aus, wie geht der Fischfang vonstatten, gibt es Tänze, Musik? All diese spannenden Dinge werden nicht verhandelt, werden nicht aufgegriffen und komplett dem Actionkrieg untergeordnet. Cameron zeigt sich gewohnt militaristisch und bekämpft Krieg mit noch mehr Krieg. Andere Möglichkeiten der Problemlösung wie Diplomatie finden nicht statt. Pazifismus sucht man hier in der Weite der unendlichen See vergebens. Fündig wird man außerdem nicht im Thema „Originäre Handlung“. Der Antagonist und das Pocahontas-Der, mit dem Wolf tanzt-Narrativ einer Gruppe, die sich in einer neuen Gruppe zurechtfinden muss, kommen uns woher bekannt vor? Richtig. Avatar Teil 1. Cameron hat wirklich 13 Jahre gebraucht, um die gleiche Geschichte repetitiv nochmal zu verfilmen und tauscht Wald gegen Wasser.
Natürlich ist nicht alles schlecht. James Cameron ist ein hervorragender Action-Regisseur und die spannungs- und waffengeladenen Minuten sind mitreißend. Er versteht sein Handwerk. Die Bilder, wenngleich künstlich und im Gaming verortet, können überwältigen, wobei hier der erste Teil für deutlich mehr Wow-Effekte sorgte. Alles in Allem ist „Avatar – The Way of Water“ stilistisch fragwürdig, inhaltlich plumpes Blockbuster-Kino mit einer Menge verschenktem Potential, einer fürchterlichen, seelenlosen Sicht auf die Zwischenmenschlichkeit, aber zumindest mit spannenden Unterhaltungswerten.
 
 

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