Interior. Leather Bar.

Bewertung durch patzwey  80% 
Durchschnittliche Bewertung 80%
Anzahl der Bewertungen 1

Forumseintrag zu „Interior. Leather Bar.“ von patzwey

patzwey_83fc2ada0d.jpg
patzwey (11.02.2013 23:59) Bewertung
Interior. Leather Bar.
Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2013
James Franco liebt es sich mit Geschichten rund um Homosexualität zu beschäftigen und für die Rechte von Schwulen in der Gesellschaft und vor allem auf der Leinwand einzutreten. So spielte er bereits u.a. in „Milk“, „Howl“ oder auch in seinem sehr mittelmäßigen Regie-Abschlussfilm für die New York University „The Broken Tower“ einen Mann mit der Vorliebe zum gleichen Geschlecht. Somit wurde er in den letzten Jahren – wie seine eigentliche sexuelle Orientierung auch immer sein mag - zu einer beliebten Ikone für homosexuelle Männer Weltweit. Und wie er auch in einer Szene in „Interior. Leather Bar.“ meint, findet er homosexuelle Liebe und auch die pornographische Inszenierung von Homosexualität für ein geniales filmisches Stilmittel, dass er auch unbedingt gerne im Mainstream etablieren würde.

Doch der Mainstream samt all seinen auf Gewinn ausgerichteten Produktionsfirmen ist bekanntlich recht prüde. Er ist es heute und er war es auch bereits in den 80ern. So entstand im Jahr 1980 beispielsweise der Film „Cruising“ mit Al Pacino in der Hauptrolle, der in einer Szene undercover in einen SM-Klub der schwulen New Yorker Lederszene geht. Doch diese Sequenz war damals sowohl für das hetero-, als auch das homosexuelle Publikum zu anstößig und verstörend, sodass letztendlich die als 40-minütiger Abstieg in die Hölle inszenierte Szene, einfach aus dem Film geschnitten wurde. Soweit die Ausgangssituation. Doch nun treten James Franco und sein Co-Director Travis Mathews (der wahrscheinlich der eigentliche Regisseur des Films ist) in Szene. Ihr Plan: Die fehlenden 40 Minuten von „Cruising“ sollen ihren Vorstellungen entsprechen nachgedreht werden. Und da niemand weiß, was Al Pacino seinerzeit eigentlich erlebte, kennt ihre Fantasie keine Grenzen. Was entsteht sind Szenen, in denen einige Male die Grenzen zur Pornographie durchbrochen werden. Mittendrin befindet sich der heterosexuelle Schauspieler Val Lauren, der die Rolle von Al Pacino übernehmen soll und sich genauso wie der Hollywoodstar in dieser künstlich erschaffenen Atmosphäre ziemlich unwohl fühlt. Doch „Interior. Leather Bar“ ist nicht nur ein Nachdreh dieser Szenen, sondern funktioniert auch noch auf vielen anderen Ebenen. So ist die eigentliche Stärke des Films, dass sich Lauren nicht nur in den gespielten Szenen inmitten der in Leder gekleideten schwulen Männern sehr unwohl fühlt, sondern auch während der ganzen Dreharbeiten. Seine Bedenken in solch einem Film mitzuspielen und die Mechanismen durch die seine Homophobie entsteht, werden auf raffinierte Art und Weise ans Tageslicht gebracht. Und diese Punkte sind es, worum es im Film eigentlich geht. Auf den ersten Blick sieht der Franco/Mathews Film wie ein Dokumentarfilm aus, doch auch wenn viel improvisiert bzw. dem Zufall überlassen ist und die Darsteller im Stil des italienischen Neorealismus großteils von der Straße gecastet wurden, ist der Film trotzdem zu Großen Teilen geskriptet. Wo die Grenze zwischen Dokumentarfilm und Fiktion verläuft, kann man somit (wie bereits sehr oft auf der diesjährigen Berlinale) nur vermuten. „Interior. Leather Bar.“ ist somit wohl am ehesten als Mockumentary (setzt sich aus „to mock“ und „documentary“ zusammen und bezeichnet einen Fake-Dokumentarfilm) mit viel Freiraum zur authentischen Improvisation beschreiben.

Wie auch immer. Der Film porträtiert somit in erster Linie die Homophobie von Lauren auf dem Set, die in Analogie zu Pacinos Unwohlbefinden im SM-Klub steht. Francos Film ist somit ein sehr liebevoll gestaltetes Werk zur Anerkennung aller Arten der Sexualität, das prüde Grenzen durchbrechen möchte, indem es diese ad absurdum führt. Schade ist nur, dass aufgrund der expliziten Szenen und der schwer vermarktbaren Laufzeit von nur 60 Minuten, nur die wenigsten Menschen in den Genuss dieses Films kommen werden.
 
 

zum gesamten Filmforum von „Interior. Leather Bar.“
zurück zur Userseite von patzwey