Lincoln

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Forumseintrag zu „Lincoln“ von themovieslave


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themovieslave (13.12.2012 09:51) Bewertung
Ein demokratietheoretisches Mainstream-Essay

Die Kritiken zu Steven Spielbergs „Lincoln“ überschlagen sich vor Jubel. Es scheint, als seien die US-amerikanischen Rezensenten nur damit beschäftigt, die Genialität eines Daniel Day-Lewis hervorzuheben und sich die Frage zu stellen, ob es zu Oscar Nummer 3 reichen wird. Die Oscar-Frage scheint überhaupt in den bisher erschienenen Besprechungen zentraler als die ernsthafte Beschäftigung damit, warum nun Spielbergs „Lincoln“ wirklich sein bester Film seit „München“ ist.

Tony Kushners Skript fokussiert sich ganz auf die letzten Woche und Monate in Abraham Lincolns Leben und beschreibt den harten Weg zum 13. Zusatzartikel der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika, der 1865 nach einem blutigen Bürgerkrieg beschlossen wurde und zur Abschaffung der Sklaverei führte. Spielbergs Film ist zweifelsohne die Geschichtslektion, die man sich erwartet hat, jedoch mit einer intellektuellen Tiefe, die Spielberg seit nahezu einer Dekade nicht mehr auf Leinwand brachte: Man kann den Film mit all seinen Details einfach nur als einen genau recherchierten Historienfilm betrachten, als ein Bio-Pic, wie es nur ein Meister wie Spielberg mit seinem Kameramann Janusz Kaminski inszenieren kann, aber auch als eine Analyse der problematischen und selten kritisch reflektierten Mechanismen demokratischer Prozesse. Abraham Lincoln und diverse Parteifreunde wollen die Sklaverei abschaffen. Dies gelingt ihnen letzten Endes nur über Drohungen, Bestechungen und Lügen – und das fast schon den Großteil des Inhalts zusammen. Eine der größten Leistungen der kurzen Geschichte der US-Demokratie führte also nur über durch und durch undemokratische Prozesse zum Erfolg. Der US-amerikanische Bürgerkrieg wurde in zahlreichen Filmen und Serien verewigt und auch Abraham Lincoln bekommt hiermit nicht gerade seine erste filmische Würdigung. Spielberg portraitiert jedoch weniger, wie der Titel suggerieren mag, Abraham Lincoln als vielmehr den harten Weg zur Abschaffung der Sklaverei, wie er im Kongress, im Weißen Haus und unter den Mächtigen des Staates abgelaufen ist, also fernab von Schlachtfeldern und persönlichen Dramen. Thaddeus Stevens, einer der engsten Verbündeten Lincolns und mit Tommy Lee Jones kongenial besetzt, fasst das eigentliche Thema des Films in einer Dialogpassage zusammen: „Trust?! You seem to have forgotten that our chosen career is politics!“ – Man muss hinter die Fassaden des genialen Schauspiels und der historischen Genauigkeit, so toll all dies auch sein mag, blicken, um die wahren Leistungen in „Lincoln“ zu erkennen. Die großen Errungenschaften der Demokratie, mit der sie sich selbst immer wieder auf die Schulter klopft und mit deren Werten sie gerne in zerstörende Kriege zieht, ist stets begleitet von Blut und Tod, Schmerz und Leid, Bestechung und Korruption. Lügen und Betrügen gehören schon ebenso zur Demokratie wie zu anderen politischen Systemen – und dies muss nunmal gesagt werden, egal wie löblich die Ziele der demokratischen Prozesse letzten Endes sein mögen. Spielberg verheimlicht dies auch in keinem Moment, ganz im Gegenteil: Die schmutzigen politischen Prozesse auf dem Weg zur Befreiung der schwarzen Bevölkerung werden herausgehoben, ironisiert und bis zum Ende detailliert betont.

Einziges auffallendes Manko ist, dass es noch zu viele Überbleibsel des angeblich ursprünglich 500 Seiten starken ersten Entwurfs von Autor Tony Kushner gibt. Natürlich erleben wir, neben den reinen politischen und historischen Prozessen, auch Abraham Lincoln als Privatperson. Doch die Konflikte, die durch seine politische Karriere und seine Attitüde als Workaholic entstehen, sind bestenfalls angedeutet. Paradebeispiel hierfür ist der Subplot mit Abrahams Sohn Robert Lincoln (Joseph Gordon-Levitt): Vater Abraham will nicht, dass Sohn Robert freiwillig zur Armee geht und in den Krieg zieht. Sohn rebelliert und will es trotzdem tun, Vater verbietet es nicht als Vater, sondern als oberster Befehlshaber eines Staates. Und... ja... und dann? Es scheint, als ob Szenen fehlen, denn dies wird, wie so manch andere Konflikte, einfach nicht auserzählt.
Faux-Pas wie diese kann man verzeihen. Es bleibt nur zu hoffen, dass das Kinopublikum im Laufe der Zeit in „Lincoln“ mehr sehen wird, als das, was es ohnehin und offensichtlich ist: Ein sensationell fotografiertes und gespieltes Historien-Epos.
 
 

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