Standard Operating Procedure

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Forumseintrag zu „Standard Operating Procedure“ von Harry.Potter

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Harry.Potter (12.02.2008 23:59) Bewertung
Standard Operating Procedure

Erroll Morris schildert in seiner Dokumentation die Hintergründe der grauenvollen Vorkommnisse im US-Gefängnis in Abu Girab (Irak), die durch die Veröffentlichung von Fotos, die US-Soldatinnen und –Soldaten bei der Folter von Gefangenen zeigen, für weltweite Empörung sorgten und das militärische Engagement der USA im Irak unter ein noch kritischeres Licht stellten als es inzwischen ohnehin schon der Fall war. Die Fotos brachten nicht nur die brutalen Methoden, die bei den Verhören der Verdächtigen zur Anwendung kamen, ans Tageslicht, sondern zeigten eine Art Chronologie der miesen Spiele, die eine Gruppe von US-Soldatinnen und –Soldaten mit den Häftlingen spielten. Demütigungen, Misshandlungen und sexuelle Belästigungen wurden nicht „nur“ zu Verhörzwecken angewandt, sondern aus purem Sadismus. Das Foto von Lynndie England, die mit einem breiten Grinsen im Gesicht einen nackten Gefangenen an einer Hundeleine über den Gefängnisboden schleift, ging durch alle Medien und ist nur ein Beispiel für noch viele andere Vorkommnisse.

Natürlich hat die US Army eine Untersuchung der Vorfälle durchgeführt und alle Betroffenen wurden verurteilt, degradiert oder unehrenhaft entlassen. Tendenziell zeigt sich jedoch, dass die Strafen für das, was da passierte, relativ niedrig ausgefallen sind und nur der Kommandant des Gefängnisses eine ernst zu nehmende Haftstrafe verbüßen muss. In Morris’ Film bekommen viele von ihnen die Möglichkeit, zu den Vorkommnissen Stellung zu beziehen und ihr Verhalten zu rechtfertigen. Es gelingt dem Film aber nicht (aber das wird wohl auch nicht möglich sein angesichts dessen, was dort passiert ist), ihre Sicht der Dinge nachvollziehbar zu machen. Von dem Vorwurf, dass sie diese Befehle, die sie angeblich befolgt hätten, nicht ausführen hätten dürfen, wird sie niemand freisprechen können. Dagegen sprechen nämlich ihre eigenen Fotos. Dort sind keine Soldaten zu sehen, die widerwillig einen Befehl befolgen, sondern man sieht sie alle grinsen, den Daumen in die Höhe strecken, die Zigarette lässig im Mundwinkel.

Der Film will auch gar nicht versuchen, ihr Verhalten zu rechtfertigen, sondern versucht die Ereignisse, die durch die Bilder festgehalten wurden, den Aussagen der Beschuldigten gegenüber zu stellen und enthält sich jeden Urteils. Unterschwellig stellt er die Frage, ob das Militär in den USA, gerade, weil es für Menschen aus problematischen sozialen Umfeldern die einzige Möglichkeit ist, eine ordentliche Schulausbildung zu erhalten, nicht im gleichen Atemzug überdurchschnittlich viele problematische Persönlichkeiten anzieht, die unter dem Druck der Kriegssituation und mangels der nötigen Erfahrung, ihr wahres Gesicht zeigen und solche widerwärtigen Ideen in die Tat umsetzen, die sie sonst nur in ihrer Phantasie vor sich hin spinnen.

Bei aller Grausamkeit dessen, was man in den Bildern und den Rekonstruktionen zu sehen bekommt, besticht der Film mit seinem Schnitt und einer hochwertigen Musikuntermalung von Danny Elfman. Letzten Endes nimmt er aber keine klare Position ein und kann den Verdacht, für die Schuldigen Partei ergreifen zu wollen, nicht ganz entkräften. Ein Nachgeschmack bleibt und die Überzeugung, dass es Mechanismen innerhalb der US-Armee und womöglich in jeder Armee der Welt, wenn auch in unterschiedlicher Nuancierung, gibt, die die Verantwortlichen wohl gerne unter den Teppich kehren oder von denen niemand glaubt, dass es sie gibt. Sie treten immer nur dann ans Tageslicht, wenn irgendein Foto oder ein Video im Internet auftaucht, mit dem das Geschehene belegt werden kann.
 
 

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