The Dark Knight

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Forumseintrag zu „The Dark Knight“ von florianlackner

florianlackner (12.12.2021 09:19) Bewertung
Was dich nicht umbringt, macht dich nur komischer
Heath Ledgers herausragende Darstellung als kriminelles Genie lässt im zweiten Teil der Batman-Trilogie die Zuseher:innen am eigenen Weltbild zweifeln.

Ein in einem unheimlich violett schimmernden Maßanzug gehüllter Mann mit grünen Haaren, gelben Zähnen und mit durch Narben zu einem bizarren Lächeln verzogene Mundwinkel, bedroht die Heimatstadt des Milliardärs Bruce Wayne, der nachts als Batman für Ordnung und Recht sorgt. Woher die Narben im Gesicht stammen, wird nicht widerspruchsfrei geklärt, ist aber auch nicht intendiert. Nur eine der vielen Ungereimtheiten, die die wahren Hintergründe des Jokers verschleiern.

Wesentlich bekannter sind hingegen die Methoden, mit denen sich Ledger auf die Rolle des Jokers vorbereitete. Isoliert in einem Londoner Hotelzimmer nahm er sich rund ein Monat Zeit, sich in einen Soziopathen, einen kaltblütigen Clown hineinzuversetzen. Es war auch jenes Zimmer, in welchem Ledger selbst das unverwechselbare Make-up entwarf. Ohne große Sorgfalt aufgetragen und stellenweise brüchig, gewährt es Einblick in den seelischen Zustand des schmatzenden Freaks. Man beobachtet nicht Ledger, der den Joker spielt, man blickt auf einen cartoonartigen, unwirklichen Charakter, der in die Welt der Zuseher:innen eindringt und diese für sich einnimmt. Einige der großartigsten Szenen des Films sind nicht im Drehbuch zu finden, sondern darauf zurückzuführen, dass der Schauspieler gehandelt hat, wie es Joker getan hätte.

Christopher Nolan ist es, der Ledger jene schauspielerischen Freiheiten ermöglichte. Schon im vorangegangen Teil Batman Begins bewies der Regisseur, welcher gemeinsam mit seinem Bruder das Drehbuch verfasste, wie perfekt er sein Handwerk beherrscht. Der Großteil der Actionszenen ist tatsächlich gedreht und verleiht diesen so wesentlich mehr Authentizität. Visuelle Effekte wurden nur dort eingesetzt, wo sie unumgänglich waren, Aufnahmen vor dem Green Screen auf ein Minimum reduziert. Mehrere parallel laufende Handlungsstränge greifen nahtlos ineinander, vermitteln den Zuseher:innen – durch geschickt eingesetzte Stilmittel wie Farben oder Musik – dennoch unmissverständlich, wo wir uns aktuell befinden.

Für die nahezu omnipräsente Musik des Films zeichnet sich Hans Zimmer verantwortlich. Mit nur zwei Tönen, die in schaurigem Zusammenspiel die Charakteristika des Jokers eindrücklich konturieren, hebt er sich deutlich von Stücken ab, die in anderen Filmen typischerweise mit dem Bösen assoziiert werden. Stille herrscht nur kurz bevor die provokativen Klänge der Anarchie einsetzen und in ihren Bann ziehen, obwohl sich die eigenen Ohren spürbar dagegen wehren. Es genügt eine Sekunde dieser Laute, um zu wissen, dass Unheilvolles naht. In ersten Experimenten auf der Suche nach den richtigen Tönen wurde passenderweise mit Rasierklingen und kaputten Saiten gearbeitet. In die Endfassung schafften sie es nicht, die in einer Klinge ruhende Zerstörungskraft aber blieb.

Mit perfiden Methoden zeigt der Joker Batman, dass das Böse jeden treffen kann, und – um es mit dessen Worten auszudrücken – dafür reicht oft schon ein kleiner Schubser. Ledgers Joker ist ein Psychopath, er ist Batmans Antithese, was ihn zu dessen größten Gefahr macht. Das Chaos, das Ignorieren jeglicher Konsequenz, das völlige Aufgehen im Jetzt. Der Joker personifiziert den Kontrast zur Ordnung, zum Plan und zum zukunftsgerichteten Denken. Er und Batman definieren sich durch ihre Gegensätzlichkeit. „Du machst mich erst vollkommen“, fasst Joker im Film selbst zusammen.

Christian Bale in den Kleidern des namensgebenden dunklen Ritters spielt in diesem actiongeladenen Drama trotz seiner Funktion als Hauptdarsteller nur eine Nebenrolle. Heath Ledger, der das anarchistische Genie keinesfalls bloß spielt, sondern 152 Minuten Joker ist, stellt die schauspielerischen Leistungen seiner Kolleg:innen nicht nur in den Schatten, vielmehr tatsächlich auch infrage. Mit einer nahezu unvergleichlichen Intimität, die er mit den Zuseher:innen aufbaut, lässt er uns mehr und mehr am eigenen Weltbild zweifeln, während er sein eigenes, völlig verdrehtes auf subtile Weise in uns gedeihen lässt. Der sich durch schwankende Geschwindigkeiten des Films auftuende Raum erlaubt Selbstreflexionen, in denen man sich gelegentlich vor den eigenen – vom Joker in die Wege geleiteten – Entscheidungen fürchtet. Ganz zurecht erhielt der viel zu früh verstorbene Ledger posthum den Oscar für die Rolle seines Lebens.
 
 

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