Blue Moon

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Forumseintrag zu „Blue Moon“ von Maverick87

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Maverick87 (22.02.2025 17:10) Bewertung
Das Ende einer wunderbaren Freundschaft
Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2025
Eine schicksalhafte Nacht in einer New Yorker Bar läutet das Ende der Karriere von einem der profiliertesten Songschreibern der Geschichte ein. Ein bestechender Ethan Hawke spielt Lorenz Hart.

Dass es gar keine Übertreibung ist, Lorenz Hart als einen der erfolgreichsten Songwriter zu bezeichnen, den die amerikanische Theaterszene je gesehen hat, wird bereits in der Eröffnungsszene deutlich, in der ein Radiomoderator bei der Nachricht seines Todes einen umfangreichen Nachruf spricht und gar nicht mehr aufhören will, Songtitel, die Hart geschrieben hat, zu nennen. Aber der Mann hinter den Evergreens wie eben der titelgebende „Blue Moon“ ist nur noch ein Schatten seiner selbst, als er bei der Uraufführung von „Oklahoma!“, dem ersten gemeinsamen Stück seines früheren Kreativpartners Richard Rodgers (Andrew Scott) mit Oscar Hammerstein II (Simon Delaney), neben seiner Mutter in einer Loge sitzt. Es ist der 31. März 1943, nur sieben Monate vor seinem Tod: Der alkoholkranke und sehr exzentrische Hart begibt sich, noch bevor der Vorhang fällt, in die nahegelegene Bar „Sardi’s“, wo gerade der Barkeeper Eddie (Bobby Cannavale) seinen Dienst schiebt und Lorenz eigentlich nichts mehr ausschenken darf. Der GI Morty (Jonah Lees), von Lorenz liebevoll „Knuckles“ genannt, sitzt am Piano, und der Dichter und Schriftsteller E.B. White (Patrick Kennedy) ist ebenfalls in der Bar und hört sich geduldig Lorenz‘ ausschweifende Geschichten an und liest ihm eigene Gedichte vor. Wenig später trifft die 20jährige Studentin Elizabeth (Margaret Qualley) ein, für die Hart etwas empfindet, während sie sich durch ihn nur die Bekanntschaft mit Rodgers erhofft. Dann taucht auch schon die Feiergemeinschaft rund um das umjubelte neue Traumduo des Theaters auf, das die ersten euphorischen Kritiken erwartet. Hart versucht verzweifelt, die Scherben seiner Existenz aufzusammeln und nach außen hin Würde zu bewahren. Er schlägt dem wenig begeisterten Rodgers die Produktion eines extravaganten Marco Polo-Musicals vor, doch Rodgers, der wegen Harts zunehmender Unzuverlässigkeit sich seinem Freund und Mentor gegenüber sehr reserviert verhält, schlägt ihm stattdessen ein Revival ihres alten Erfolgs „A Connecticut Yankee“ mit fünf neuen Songs vor. Es wird klar, dass sich ihre Wege, trotz anderslautender Beteuerungen, wohl bald endgültig trennen werden.

Wenn es etwas gibt, worin Richard Linklater ausgesprochen gut ist, dann, dass er seinen Filmen eine wohlige Atmosphäre gibt. Bis auf den Zusammenbruchs Harts auf regnerischer Straße in der Eröffnungsszene und der kurzen Szene in Harts Loge während der „Oklahoma!“-Premiere ist der gesamte Film in der Bar nahezu in Echtzeit erzählt. Linklater gibt seinem Publikum das Gefühl, Teil der Abendgesellschaft zu sein und weicht Hart in keinem Moment von der Seite. Das stellt Ethan Hawke vor die besondere Herausforderung, den Löwenanteil von „Blue Moon“ zu schultern und seine intensiven dialoglastigen Szenen mit einem atemberaubenden Tempo zu absolvieren. Was bereits bei ihrer gemeinsamen „Before“-Trilogie wunderbar funktioniert hat. Das Drehbuch von Robert Kaplow ist nur so gespickt von pointierten Dialogen und vielen Referenzen – wer immer schon mal wissen wollte, welche die beste und welche die schlechteste Dialogzeile in Michael Curtiz‘ „Casablanca“ (1943) ist, der sollte genau aufpassen – aus der Film- und Theaterszene, und gibt seinen Schauspielern damit ordentlich viel Material an die Hand, mit dem sie arbeiten können. Der Film fühlt sich aber, dank Linklaters leichter und unaufgeregter Inszenierung, nie überladen oder verkopft an und es gelingt ihm, das Interesse des Publikums an seinem Protagonisten aufrechtzuerhalten.

Das ist natürlich der besondere Verdienst von Ethan Hawke. Seit über drei Jahrzehnten schon ein vielseitiger und überaus talentierter Charakterdarsteller wie auch ein weltgewandter Zeitgenosse, liefert er in „Blue Moon“ eine seiner absolut besten schauspielerischen Leistungen ab. Wie er sich Szene für Szene, Gespräch für Gespräch, um Kopf und Kragen redet und sich dabei sprichwörtlich die Seele aus dem Leib spielt, ist schlichtweg faszinierend. Man möchte ihm an manchen Stellen am liebsten den Mund verbieten, ihm Vernunft ins Gewissen reden oder einfach nur weismachen, was uns die Geschichte später über ihn gelehrt hat, nämlich, dass seine Glanzzeit endgültig vorüber ist. Aber Hawke schafft es, seine Figur nie ins Lächerliche oder übermäßig Verzweifelte abdriften zu lassen. Und auch wenn seine Szenenpartner zumeist eigentlich nur als seine Stichwortgeber fungieren, bringen auch sie wirklich gutes Schauspiel in „Blue Moon“. Bobby Cannavale spielt mit viel Charme den sympathischen Barkeeper, Margaret Qualley meistert ihre kokette Figur bravourös, aber es ist Andrew Scott, der neben Hawke am meisten besticht, denn es sind die Momente zwischen Rodgers und Hart, in denen das Ungesagte zwischen den Beiden der Geschichte ihre Tragik gibt. Scotts stille, aber dennoch Bände sprechende Performance im Zusammenspiel mit Hawke bildet das Herzstück des Films.

Eine wunderbare, elegisch inszenierte Tragikomödie mit bestens aufspielenden Charakterköpfen, mit stimmungsvoller Musik unterlegt, ist „Blue Moon“ eine würdevolle und sehr bewegende Hommage an eine lange in Vergessenheit geratene Songwriter-Legende. Ethan Hawke setzt schon jetzt ein starkes Ausrufezeichen im noch jungen Kinojahr 2025.
 
 

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