Blutige Abrechnung mit dem Schönheits – und Jugendwahn
Eine leuchtend-grüne Flüssigkeit lässt einen zweiten, gleichmäßigeren Eidotter entstehen; die Lust auf Spiegelei vergeht einem vielleicht. So stellt Coralie Fargeat („Revenge“) ihre titelspendende „Substance“ vor, die es Menschen ermöglicht, aus sich heraus ein zweites jüngeres und perfekteres Ich zu erschaffen, mit dem man das Leben teilt. Die französische Regisseurin nimmt das wörtlich, was für ungewöhnliche Bilder sorgt.
Mit 50 Jahren ist das (Show-)Leben vorbei
Elisabeth Sparkle (brillant, entschlossen und verletzlich: Demi Moore) ist der – wie könnte es anders sein – strahlende Star einer Fitness-Show. Sendungschef Harvey sieht die Gunst des Publikums aber schon schwinden. Das will: eine sexy junge Frau, eine moderne Tanz-Göttin. Und keine 50-jährige Vorturnerin in altmodischen Klamotten mit Fältchen im Gesicht. Um die Liebe des Publikums nicht zu verlieren, lässt sich Elisabeth dazu verleiten, „The Substance“ zu nehmen. Die perfekte Sue (Margaret Qualley) erblickt das Licht der Welt und des Showbusiness – ein Teil von Elisabeth.
Körperlichkeit und die Monstrosität der Schönheit
Fargeat verdeutlicht, dass der Körper im Mittelpunkt steht. Dass äußere Werte im TV und wohl nicht nur dort durchaus zum Wertvollsten zählen, was wir Menschen – oder eigentlich nur Frauen – haben. Die Kamera fängt die Bewegungen beim Workout ein: Sie ergötzt sich – in Imitation des Male Gaze, der unsere Sehgewohnheiten beherrscht – vor allem an der jungen Sue mit ihren schillernden Trainingsanzügen, die kaum Stoff haben, oder an ihren Beinen / ihrem Knackpo in Brazilian Slips. Ihre jungen Brüste sind ebenfalls oft in Szene gesetzt, genau wie ihr Bauchnabel. Hip und lasziv erfindet sie die Show neu. Sue twerkt zum Remix des bekannten Songs „Pump it up“ (auch eine jüngere Version!) anstatt fade Übungen zu machen. Fargeat zeigt zwar etwas offensichtlich, aber gelungen, worauf Männer schauen. Und sie zeigt, welcher Druck auf Frauen lastet, diesem Idealbild zu entsprechen. Was sie auf sich nehmen, um bewundert/engagiert/geliebt etc. zu werden.
Die Leiden der alten Dame
Obwohl einige Themen an Dorian Gray und sein Streben nach Jugend erinnern, macht „The Substance“ nicht einfach nur ein Porträt der schönen Elisabeth, sondern lässt sie – wörtlich – ihr jüngeres, perfekteres Ich – gebären. Sue entspringt ihrem Rücken – Body-Horror vom Feinsten. Ein Teil von ihr (oder ist Sue doch eigenständiger?) nutzt die Jugend immer mehr aus, die Popularität. Dadurch setzt sie sich über die Regeln der Verwendung der Substanz hinweg. Ein Kampf zwischen Alt und Jung entbrennt. Ausgetragen über den Körper. Monster in beiden Bedeutungen des Wortes kommen hervor. Hat man Fargeats „Revenge“ gesehen, ist man ein bisschen vorbereitet auf die Gewalt gegen den eigenen Körper oder gegen den anderen Teil des Ichs. Beeindruckend eingefangen ist die allemal, wenngleich nicht immer einfach zu konsumieren.
Symbole des Ruhms und Verfalls
Fargeat verwendet für die Vergänglichkeit von Starruhm im Alter anschauliche – im wahrsten Sinne des Wortes – Symbole. Bilder der TV-Stars, die Gänge und Billboards zieren und irgendwann verschwinden. Sterne, die gefeiert oder nicht mehr wahrgenommen und mit Burgerresten beschmutzt werden. Bilder, um die die beiden Teile des Ichs kämpfen. Und das schrecklichste Bild von allen: das Spiegelbild.
Genrekunst für Satire
Je weniger Balance zwischen den beiden Ichs herrscht, desto mehr spielt Fargeat auf der Klaviatur des Body-Horrors. Sues ‚Geburt‘, die medizinische Versorgung von Elisabeths Wunde, die Schritte zur künstlichen Ernährung, die Stabilisierung des jüngeren Ichs und der Wechsel werden ganz nah und möglichst grafisch eingefangen. Die Intensität der körperlichen ‚Grauslichkeiten‘ steigert sich weiter, bis zum unausweichlichen Ende. Denn Jugend und Schönheit haben ihren Preis.
Die Lust an den Figuren
Fargeat porträtiert in ihrem Film einen alternden Star, der weiter geliebt werden will. Die Rolle scheint Demi Moore auf den Leib geschrieben zu sein. Sie geht in Elisabeth auf, zeigt diese Sehnsucht, ihren Lebenswillen genauso wie ihre Verletzlichkeit. In lauten und in stillen Momenten. Margaret Qualley darf sich als jüngeres Ich / Sue nicht ganz so vielseitig geben. Sie muss die unschuldige und zugleich attraktive junge Frau sein, die einfach nur der perfekte Star von heute ist. Nur ihre dunkle Seite, die Gier nach Berühmtheit, Party und was man sonst als schöne Frau so bekommt, dürfen zum Vorschein kommen. Dafür sind ihr Make-up und ihre Garderobe immer perfekt abgestimmt, bis ins kleinste Detail. Bunt, schillernd, sexy einfach. Das satirische Trio ergänzt Dennis Quaid als schmieriger TV-Heini, der Frauen austauscht, also wegwirft, wenn sie alt werden. Eine Extra-Erwähnung hat sich das Kostüm-Departement für seine Anzüge und Schuhe verdient, auffällig und grenzwertig, wenn es um guten Geschmack geht. Die Kamera, die ihn oft in unvorteilhaften Posen einfängt, unterstreicht seine Lächerlichkeit. Und doch hat ein solcher Mann so viel Macht …
Unangenehmes Zusehen und gerade deshalb ein Erlebnis
Eigentlich sind es nicht nur die grafischen Body-Horror-Szenen, die gar nicht so einfach zu konsumieren sind. (Oder gerade deshalb Spaß machen.) Vielmehr fühlt man sich unangenehm an die eigenen Sehgewohnheiten und verinnerlichten Wahrnehmungsmuster erinnert. Etwa, wenn einem (besonders als Frau) bei den Sportszenen der Gedanke kommt, dass Demi Moores Körper kaum Dellen oder Ähnliches zu haben scheint, sie in Top-Form ist. Eine Feststellung, die genau davon zeugt, was die Regisseurin in ihrer Geschichte anprangert: das Schönheitsdiktat für Frauen, das die ganze Gesellschaft durchdringt und unsere Wahrnehmung beeinflusst. Nein, diese feministisch geprägte Feststellung ist nicht neu, wird aber selten so spannend und unterhaltsam filmisch diskutiert.
Das Ende ist einen Tick übertrieben und lang, vor allem erzählerisch. Doch das kann man leicht verschmerzen, denn „The Substance“ ist ein Erlebnis, intellektuell genauso wie visuell.
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