Die Wärterin

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Forumseintrag zu „Die Wärterin“ von Filmgenuss

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Filmgenuss (26.04.2025 12:34) Bewertung
Wieviel Schuld bleibt dem Gefangenen?
Im Kino kann man das Wort Rache schon bald nicht mehr hören. Aus Hollywood wird der asoziale, verbrecherische Amoklauf aus Trauer, Frust und Wut immer dafür instrumentalisiert, den roten Faden eines Actionthrillers zu rechtfertigen, der mit Verbrechern kurzen Prozess macht. Rache hat da meistens die banale, für alle Gesellschaftsschichten verständliche, niedere Instinktgetriebenheit, die im Moment existiert und keinesfalls vorausschauende Gedanken hegt. Rache ist die Befriedigung eines emotionalen Ausnahmezustands und hat keinerlei nachhaltige Wirkung. Im Fatih Akins Terrordrama Aus dem Nichts quält sich Diane Kruger mit dem Impuls, unbedingt Rache nehmen zu müssen an jenen, die ihre Familie ausgelöscht haben. Wofür? Für nichts. In The Amateur, dem neuen Film mit Rami Malek, wird Selbstjustiz gar vom Geheimdienst geduldet, ohne Konsequenzen. Eiskalt serviert sie auch Marvel-Antiheld The Punisher (Jon Bernthal), der sich ballernderweise dem organisierten Verbrechen entledigt. Diese Schemata wiederholen sich in regelmäßiger Reihenfolge wie das Amen im Gebet. Doch wenn man meint, in diesem Sektor des Rachefilms alles schon gesehen zu haben, dürfte wohl die Rechnung ohne die lieben Dänen gemacht worden sein. Denn die haben Gustav Möller, und Möller hat bereits mit seinem hochspannenden und dichten Kammerspiel The Guilty die Sehgewohnheiten des Publikums auf Hörspielebene gehoben. Was dort ans Ohr dringt, sind raffinierte akustische Bildwelten und ein Dialog, der so viele Fragen aufwirft, das diese an den Grundfesten menschlichen Verhaltens rütteln.

Dieses menschliche Verhalten wird auch zum irrationalen Faktor eines Nervenkriegs zwischen einer Vollzugsanstaltsbediensteten und einem verhaltensauffälligen Mörder, dessen unkontrolliertes Impulsverhalten diesem eine mehrjährige Haftstrafe in einem Hochsicherheitstrakt eingebracht hat. Soweit so klassisch. Doch dann kommt das: Dieser Gewaltverbrecher namens Mikkel hat den Sohn von Wärterin Eva auf dem Gewissen, der selbst wegen diverser Delikte gesessen hat und dort, im Knast, damals auf diesen Mikkel traf – mit tödlichem Ausgang. Der Zufall will es anfangs nicht, dass Eva, tätig im milden Strafvollzug, direkt mit Mikkel konfrontiert wird. Doch sie weiß: Wenn sie sich verlegen lässt, wäre ihr der Mörder ihres Sohnes ausgeliefert. Sie könnte ihm nach Strich und Faden das Leben zur Hölle machen.

So einfach, wie sich Eva dieses unreflektierte Unterfangen vorstellt, wird es allerdings nicht werden. Mikkel ist schließlich nicht auf den Kopf gefallen, und bald wird ihm klar, dass es diese hasserfüllte Wärterin ganz besonders auf ihn, und nur auf ihn abgesehen hat. Dieses Geheimnis der trauernden Mutter trägt Eva schließlich mit sich herum, ohne das irgendjemand etwas davon weiß. Somit erreicht der Psychokrieg zwischen den beiden eine Eigendynamik, die beide nicht werden kommen sehen.

Weit weg von den Banalitäten eines trivialen Unterhaltungskinos, das Ambivalenzen großräumig umschifft, setzt Die Wärterin zwei unbequeme, ungemütliche und keinesfalls schwarzweißgemalten Charaktere ins Zentrum. Was Sidse Babett Knudsen (Nach der Hochzeit, Club Zero) in vorzüglicher Rollenbeherrschung an Amoral und Niedertracht zulässt, ist für eine Protagonistin wenig sympathiefördernd. Und dennoch entwickelt sich keine Ablehnung gegen diesen Charakter, genauso wenig wie für den vorbestimmten Antagonisten, in diesem Fall Sebastian Bull als Straftäter und asozialen Problemcharakter Mikkel. Möller dröselt die Ordnung von Schwarz und Weiß soweit auf, dass nur noch eine Grauzone vorherrscht, in der beide Opfer und Täter zugleich sind. Die anfangs moralisch vertretbare Rache wird zum Mobbing, diese zur nackten Gewalt. Umgekehrt missbraucht Mikkel seine Rolle als Gedemütigter, um auf Eva seinerseits Druck auszuüben. Dieses Kräftevakuum lässt Die Wärterin zu einem starken, expliziten Schlagabtausch anschwellen, der nichts beschönigt, romantisiert oder dafür nutzt, um die christlich-sozialen Werte der Vergebung zu exemplifizieren.

Möller will gar nicht so weit gehen, den guten Umgang mit Verlust, Trauer und Genugtuung zu predigen, aus dem man gestärkt hervorgeht, weil die Kraft der Vergebung nur durch einen einzigen, akkuraten Prozess zu erlangen ist. Dem widerspricht Möller in jedem Fall. Seine Geschichte packt das Dilemma an der Wurzel und enttarnt vor allem die Rolle der Eva, die mit ihrer wütenden Rache nur sich selbst betrügt und von der eigentlichen Problematik in dieser Sache ablenkt. Letztendlich ist der Faktor des Erkennens die Basis für alles, um sich selbst weiterzuentwickeln und aus einer selbstverschuldeten Verlorenheit auszubrechen. Die Wärterin schildert dies mit düsterer Stimmung, unschöner Momente, aber mit sehr viel Ehrlichkeit und einem bewussten Fokus auf Sidse Babett Knudsens verhärmtes Gesicht, in dessen Mimik sich immer wieder Zweifel um die Art und Weise der eigenen Katharsis widerspiegeln.



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