Schönheit muss leiden
Den Kerl kenn ich. Es ist Adam Pearson, so ein Gesicht vergisst man nicht. Denn er war es, den Alien Scarlett Johansson in Under the Skin so bewundernswert anders fand. Pearson kann nun ein weiteres Mal brillieren, und nein, er muss sich nicht hinter einem Laken mit Löchern verstecken wie es seinerzeit William Hurt in David Lynchs Elefantenmensch tun musste. Als John Merrick, der vermutlich an einer ähnlichen deformierenden Krankheit litt wie Adam Pearson, musste dieser im England des späten 19ten Jahrhunderts als Freak in Schaubuden für großen Reibach sorgen. Unwürdige, inhumane Methoden waren das damals – Tod Browning hatte schon seinerzeit in seinem Klassiker Freaks all diesen Menschen ihr Wertebewusstsein zurückgegeben und sie Rache nehmen lassen. Merrick selbst gelingt in diesem düsteren Meisterwerk in Schwarzweiß dieses Kunststück eben nicht. Sein Wunsch, so behandelt zu werden wie ein normaler Mensch, geht erst in Erfüllung, als er stirbt.
So traurig wie Lynchs Film ist A Different Man bei weitem nicht. Das einzige, was man empfinden könnte, wäre Mitleid für Sebastian Stan. Aber nicht, weil er zu Beginn des Films hinter jener Gesichtsdeformation verschwindet, mit welcher Adam Pearson zu leben gelernt hat. Sondern, weil er zum schönen Prinzen mutiert. Das Wort Mutation ist auch hier mehr als nur angebracht. Denn die Frage, die Aaron Schimberg in seinem Film wohl am lautesten stellt, ist: Wer bestimmt denn dieses Ideal von Schönheit? Und leben wir wirklich noch in einem Zeitalter, in welchem Inklusion und Akzeptanz etwas ist, das wir unbedingt in unseren Social Media-Status festmachen müssen, weil es so etwas Besonderes ist?
A Different Man ist dahingehend Social Fiction. Die Darstellung einer progressiven, humanistischen Akzeptanzgesellschaft, in der einzig Sebastian Stan als lebendes, reaktionäres Fossil daherkommt, der, womöglich aufgewachsen mit diversen unzeitgemäßen Märchenstunden, immer noch dem Glauben anhängt, kein Lebensglück zu finden, wenn man äußerlich nicht der Norm entspricht. Und wieder die Frage: Was ist Norm? Was ist normal? Schließt diese Bezeichnung nicht schon von vornherein einen großen Teil der Gesellschaft aus, der anders ist oder anders sein will? Dieser Begriff ist antiquiert, und Schimberg bringt diese unreflektierte Rückschrittlichkeit anhand eines mit leisem Humor hochintelligent konstruierten Gleichnisses auf den Punkt.
Sebastian Stan ist, wie bereits erwähnt, zu Beginn noch der „entstellte“ Schauspieler Edward, unglücklich mit seinem Aussehen, sich selbst und überhaupt allem. In seiner Wohnung tropft es vom Plafond, der Schimmelfleck wird immer größer und spiegelt die Seele des Ausgestoßenen, der eigentlich gar keiner sein muss, denn nebenan wohnt Ingrid (Renate Reinsve, Der schlimmste Mensch der Welt), die sich sehr schnell an Edwards Aussehen gewöhnt und es bald schon so faszinierend findet, um immer wieder bei ihm aufzuschlagen, um mit ihm abzuhängen. Was würde Edward nicht alles geben, um ansehnlich zu sein. Also unterzieht er sich einem wissenschaftlichen Experiment, welches dazu führt, dass er seine Deformation im wahrsten Sinne des Wortes abwirft, um als Sebastian Stan hervorzugehen. Ein neues Leben muss her, sein altes erklärt er für tot. Nun kann er alles haben, wonach ihm jemals gelüstet hat: Frauen, Karriere, eine teure Wohnung mit Aussicht. Was plötzlich aber fehlt, ist menschliche Nähe. Währenddessen hat Ingrid längst ein Theaterstück geschrieben, um das Leben Edwards Revue passieren zu lassen. Dafür castet sie Menschen mit Gesichtsdeformationen. Was nun kommt, ist so kurios wie erhellend: Edward, nunmehr Guy, will sich bewerben – und legt sich dafür eine Maske zu.
Schimbergs Skript ist genial – und niemals auch nur ansatzweise gierend nach Bodyhorror-Erlebnissen, obwohl die Phase der Verschönerung Edwards durchaus auch etwas für David Cronenberg gewesen wäre. Doch anders als in Die Fliege stellt Schimberg das „Beauty and the Beast“-Konzept auf den Kopf. In Ansätzen haben dies bereits die Gebrüder Farrelly probiert: Schwer verliebt mit Gwyneth Paltrow und Jack Black aus dem Jahr 2002 hinterfragt den Begriff der Schönheit ebenfalls – nur mit derbem Witz und einer Lust am Bizarren. A Different Man bleibt elegant und geschmackvoll, behält sich stets einen leisen Sarkasmus und eine Schadenfreude im Hinblick auf Sebastian Stans fortschreitenden inneren Verfall. Adam Pearson als sein Counterpart lebt das Leben wie der glücklichste Mensch auf Erden, sein Äußeres ist nie ein Thema, und wenn doch, dann ist es zumindest kein Tabu. Die Darstellung dieser Akzeptanz zeigt das Ideal einer aufgeschlossenen Gesellschaft, wie sie natürlich zu wünschen wäre, wie es sie allerdings leider noch nicht gibt. Um diesen Konflikt zwischen den Begriffen Norm, Ideal und Individualität darzustellen, braucht es aber diese Plakativität, die dem Film erst die Schärfe einer Satire verleiht, die in ihrer unkonventionellen Exzentrik auf so verblüffende Weise eine neue Sichtweise präsentiert, die wir uns alle schon mal so überlegt, aber noch nie zu Ende gedacht haben. Wenn Kino so anders sein darf wie dieser Film hier, dann wäre das als neue Norm mehr als wünschenswert.
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