Irgendwann werden wir uns alles erzählen

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Forumseintrag zu „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ von cinemarkus

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cinemarkus (25.02.2023 13:32) Bewertung
Sinnlichkeit ohne Sinn
Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2023
Zärtliche Romanze oder jugendliche Sexfantasie? Irgendwie weiß Emily Atefs neuer Film das selbst nicht ganz so genau.

Sommer 1990, Ostdeutschland kurz nach der Wiedervereinigung. Die junge Maria (Marene Burow) wohnt auf einem Bauernhof bei einer befreundeten Familie. Ihr Freund versinkt im Traum einer Fotografenkarriere, sie in Dostojewski. In einem Sturm aus Gefühlen verliebt sie sich in den älteren Nachbarn Henner (Felix Kramer) und beginnt eine verhängnisvolle Affäre …

Gleich vorweg, ich habe den Roman nie gelesen, ja noch nicht einmal davon gehört, ich beziehe mich hier also nur auf den Film den ich gesehen habe. Ich frage mich aber, ob der womöglich komplett aus der Ich-Perspektive geschrieben ist, und bei der Übersetzung in ein anderes Medium einfach gewisse Nuancen verloren gingen. Ebenso fehlt mir vermutlich die weibliche Perspektive.

Wenn man die Geschichte aus der ihrigen betrachtet, versteht man durchaus, warum ihr Henner Geborgenheit gibt. Die Mutter hat keine Zeit für sie und der Freund jagt seinen eigenen Schwärmereien nach. Keiner scheint sie so richtig zu verstehen und plötzlich tritt da jemand in ihr Leben, der ihr die gewünschte Aufmerksamkeit schenkt. Es wird zwar für meinen Geschmack etwas zu spät aufgebaut, dass er ihre Liebe zur Literatur teilt, aber die Gefühle kommen grundsätzlich an.

Leider betrachten wir aber in einem Film die Charaktere auch von außen, und da fühlt sich die Beziehung eher wie ein oberflächlicher Lusttraum an. Wie Henner mit ihr umgeht, wirkt von außen eher problematisch (und das gar nicht auf den Altersunterschied bezogen). Das nimmt dem Ganzen jegliche Erotik; die extrem in die Länge gezogenen Sexszenen wirken eher unangenehm. Durch den Einsatz eines Intimicy Coaches, konnten die Akteure nämlich in die Vollen gehen und das Liebesspiel äußerst realitätsnah darstellen (wobei ich generell schon lange den künstlerischen Wert von solchen Sequenzen in Frage stelle, da sie für mich von Natur aus immer was voyeuristisches haben). Wenn sie dann mal „richtig spielen“ dürfen, tun sie das aber dafür ebenso überzeugend.

Leider vermittelt der Film auch lange Zeit nie negative Konsequenzen, falls ihr kleines Abenteuer einmal auffliegen sollte. Erneut viel zu spät wird uns die Tragik der Geschichte etabliert. Dass gerade ein dramatischer Moment im Kinosaal eher für Lacher gesorgt hat, drückt diese Diskrepanz der Tonalität wohl am besten aus.

Die Stimmung nach dem Mauerfall wird sehr stimmig in Szene gesetzt. Teilweise werden jedoch dadurch (fast sogar noch interessantere) Nebenhandlungen aufgemacht, vermutlich in der Absicht die Welt mit mehr Charakteren zu füllen. Wenn diese aber im Endeffekt keine Relevanz haben, bremsen sie nunmal das Tempo. Falls es also keinen autobiographischen Grund gab, die Geschichte damals spielen zu lassen, stelle ich diese Entscheidung definitiv in Frage, denn sie hat sonst nur wenig Auswirkungen auf die Geschichte.

Irgendwann ergibt vielleicht alles Sinn, doch für jetzt wird er nicht für mich nicht mehr bleiben als eine Urlaubserinnerung.
 
 

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