The United States of America

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Forumseintrag zu „The United States of America“ von Heidi@Home

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Heidi@Home (26.10.2022 22:11) Bewertung
Eine enttäuschende Reise durch 50 Bundesstaaten
Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
Kann man ein Land wie die Vereinigten Staaten von Amerika in seiner Gesamtheit porträtieren? Ein Land, das wie kein zweites nicht nur ein geografischer Ort ist, sondern auch Mythos, Sehnsuchtsanker, Chimäre, Vision, Illusion und auch Polarisierungspunkt; ein Ort, dessen Image nicht unwesentlich von der dortigen Filmindustrie (mit)geprägt wurde, kann man einen solchen Ort quasi wiederum durch filmische Mittel dekonstruieren, neu erfinden, anders denken?

Regisseur James Benning, der bereits in den 1970er Jahren eine Amerika-Durchquerung gleichnamigen Titels filmisch begleitet hat, versucht das in den Jahren 2020/21 so: Er zeigt alle 50 Bundesstaaten (plus Puerto Rico und District of Columbia) in Kurzsequenzen. Jeder Staat wird durch einen Schauplatz vertreten, beginnend in Heron Bay, Alabama, endend in Kelly, Wyoming. An jedem Ort wird eine Kamera aufgestellt und diese filmt ungefähr zwei Minuten, ohne dabei ihre Position zu verändern. Welche Plätze wählt Benning aus, was will er dem Publikum mit filmischen Mitteln in dieser kurzen Zeit zeigen, wie wird er Musik, Sprache, visuelle Reize einsetzen, was kann das Publikum mitnehmen? Etwa ein neues Amerika-Bild?

Das Publikum sieht: zwei Minuten Sonnenblumenfeld, zwei Minuten eine alte Fabrikhalle, zwei Minuten Grenzzäune, Wald, Schiffe, Wüste, Pferde, die amerikanische Flagge, den Himmel und Schnee, Straßen, Plätze. Das Publikum sieht nicht bzw. nur aus der Ferne: Menschen. Das Publikum hört: Geräusche, die an Ort und Stelle stattfinden. In ein paar Passagen gibt es Musik, in ein paar Sequenzen spricht jemand. Dachte man sich vorher vielleicht zwei Minuten seien aber wenig pro Bundesstaat, so erlebt man am eigenen Leib, wie lange zwei Minuten (x 50) dauern können, wenn auf der Leinwand eigentlich nichts weiter passiert.

Neben der ziemlich ermüdenden Methodik, die ein bisschen an Andy Warhols Ansatz erinnert, fehlt mir in erster Linie Struktur in Bennings Werk. Die Verteilung der wenigen Musik- und Sprachsequenzen über die gesamte Laufzeit des Films wirkt zufällig, die gewählten Songs eher platt. Warum mit „Imagine“ ein Klassiker aus einem anderen Kulturkreis gewählt wurde, erschließt sich nicht, die Frage, was amerikanische Songwriter zu Frieden zu sagen haben, wäre hier relevanter gewesen; vorgetragen aber immerhin von Alicia Keyes, einer New Yorkerin und offenbar eine von Bennings Lieblingskünstler*innen. Dass es in den Passagen, in denen gesprochen wird, um Rassismus und die Problematiken der indigenen Bevölkerung geht, scheint zwangsläufig und damit auch wenig überraschend; dass der Freiheitsbegriff, den Amerika gerne als „Land of the free“ für sich beansprucht, hier sarkastisch hinterfragt wird, ist ein spannender, kritischer Ansatz, bleibt aber dann ohne weitere Konsequenzen oder Nachhall.

In Summe gibt Benning dem Publikum zu wenig Werkzeug für Interpretation und Reflexion, oder aber auch nur für Muße mit. Seine Vereinigten Staaten sind schwermütig, dabei aber auch ziemlich verwechselbar, und damit sind nicht nur die Himmelsaufnahmen gemeint. Manchmal scheinen Orte gewisse Klischees des jeweiligen Bundesstaates zu transportieren: In Washington DC etwa sieht man eine pathetische männliche Statue, in Mississippi eine Baumwollplantage, während in anderen Staaten augenscheinlich eher mit dem tradierten Bild gebrochen werden soll. So wird New York durch eine nichtssagende Seitengasse porträtiert, die nach Businessviertel aussieht und Los Angeles mittels einer Unterführung, wo Obdachlose ihre Zelte errichtet haben.

Erst der Abspann – und diesmal muss man unbedingt sitzenbleiben – lässt Raum für (neue) Überlegungen. Was mich betrifft, kommt die Auflösung nicht nur (zu) spät, sie lässt die Doku endgültig unbefriedigend erscheinen und hinterlässt einen faden Beigeschmack. Fazit: Experiment für mich leider missglückt.
 
 

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