An einem schönen Morgen

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Forumseintrag zu „An einem schönen Morgen“ von Primum

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Primum (11.11.2022 23:15) Bewertung
Zwischen Affären und Pflegeheimen
Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
Die französische Regisseurin Mia Hansen-Løve kehrt nach dem großartigen, englischsprachigen „Bergman Island“ mit ihrem jüngsten Werk „An einem schönen Morgen“ („Un Beau Matin“) nun nach Frankreich zurück., Dabei, versammelt dabei sie einige Größen des französischen Kinos und auch inhaltlich könnte der erstmals in der Sektion „Quinzaine des réalisateurs“ bei den Filmfestspielen in Cannes präsentierte Film französischer fast nicht sein.

Sandra (Léa Seydoux) lebt nach dem Tod ihres Mannes mit einer Tochter im Volksschulalter alleinerziehend und als Übersetzerin und Dolmetscherin arbeitend in Paris. Außer um ihre Tochter muss Sandra sich sich gemeinsam mit ihrer Mutter, ihrer Schwester und seiner neuen Partnerin auch um ihren dementen Vater Georg (Pascal Greggory) kümmern , und wird dabei von ihrer Mutter, ihrer Schwester und Georgs neuer Partnerin unterstützt., dessen Krankheit immer weiter fortschreitet. Während sie sich also auf dieder scheinbar endlosenendlose Suche nach einem angemessenen Pflegeheim begibt, verliebt sie sich in Clément (Melvil Poupaud), einen Freund ihres verstorbenen Ehemanns, der unglücklich verheiratet ist, und beginnt eine Affäre mit ihm.

Es klingt alles sehr abgegriffen und voller Klischees: Die Protagonistin, die sich immer nur um die anderen kümmert (hier: ihre Tochter und ihren Vater), deren Job es sogar ist, zwischen zwei Parteien zu vermitteln und dabei möglichst unsichtbar zu bleiben, kümmert sich in Form einer Affäre jetzt endlich um sich selbst. Und ist in den vergangenen Jahren (etwa in Filmen wie „The Father“ oder „Vortex“) nicht schon so gut wie alles über Demenz gesagt worden? Vielleicht. Hansen-Løve und ihrer Hauptdarstellerin Seydoux gelingt es dennoch, mit einem nuancierten und gefühlvollen Blick den Kontrast zwischen der Trauer und Melancholie über den sich verschlechternden Zustands des Vaters und der freudigen Aufregung über die Liebe zu Clément darzustellen.

Als ehemaliger Philosophieprofessor verfügt Georg in seiner großbürgerlichen Pariser Wohnung über eine umfassende Bibliothek, die schließlich aufgelöst werden muss. Einige seiner früheren Student*innen freuen sich über die Bücher, die Sandra ihnen überlässt. Sie ist glücklich, wenn ihr Vater durch seine Bücher so weiterleben kann, währen sich sein Zustand in den verschiedenen Pflegeheimen immer weiter verschlechtert und er sie immer seltener als seine Tochter erkennt. In diesen nachdenklichen, traurigen Momenten ist „An einem schönen Morgen“ ebenso überzeugend inszeniert wie in den aufregenden, romantischen, erotischen Szenen der Beziehung zu Clément. Er hat als Kosmochemiker, der Sternenstaub erforscht, wie er Sandras Tochter an einer Stelle erklärt, ein Leben, das mit seinen Exkursionen genauso abenteuerlich ist wie sich die Affäre mit ihm für Sandra anfühlt. Es ist ein Auf und Ab, erst läuft alles gut, später muss er sich entscheiden zwischen Sandra und seiner Ehefrau. Erst unternehmen sie als Familie zu dritt einen gemeinsamen Ausflug in den Park, bevor gleich darauf die Wirklichkeit über das Glück hereinbricht, wenn sie eine Freundin seiner Frau sehen und sich verstecken müssen.

Es ist ein Film der kleinen Momente, die das Leben ausmachen. Zwischen Glück und Unglück, zwischen Regen und Sonne liegen oft nur wenige Momente und alles gehört irgendwie dazu. Nicht alle Probleme werden in „An einem schönen Morgen“ aufgelöst, nicht alle Konflikte zu Ende erzählt. Am Ende sehen wir einen weiteren dieser kleinen Momente, aber es könnte wohl genauso gut ein anderer sein.

Mit „An einem schönen Morgen“ hat Mia Hansen-Løve einen Film geschaffen, der wohl nicht so sehr in Erinnerung bleiben wird wie der vor allem in seiner Konstruktion interessantere „Bergman Island“. Mit einem guten, vielleicht etwas melancholischen Gefühl verlässt man dennoch den Kinosaal. Das ist zum einen den humorvollen Beobachtungen des Zwischenmenschlichen geschuldet, die den Film ausmachen, und zum anderen einer starken Léa Seydoux, die in der Darstellung der unterschiedlichen Gefühlswelten von Sandra überzeugt.
 
 

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