You Have to Come and See It

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Forumseintrag zu „You Have to Come and See It“ von Primum

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Primum (04.11.2022 22:36) Bewertung
Ein kurzer Besuch auf dem Land
Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
Nachdem er zuletzt mit „Quién lo impide“ einen knapp vierstündigen Dokumentarfilm realisiert hatte, wendet sich der hierzulande noch weitgehend unbekannte spanische Regisseur Jonás Trueba im Angesicht der Coronapandemie mit „Tenéis que venir a verla“ wieder der Fiktion zu. Nur 64 Minuten dauert sein jüngster Film, der auf der Viennale seine Österreichpremiere feiert.

Die Handlung ist schnell zusammengefasst: Zwei befreundete Paare um die dreißig, die sich seit längerer Zeit nicht gesehen haben, treffen sich in einem Café in Madrid bei einem Klavierkonzert. Während das eine Paar nach wie vor in der Großstadt lebt, ist das andere vor kurzem in ein Haus aufs Land gezogen und schwärmt jetzt vom neuen Leben. „Tenéis que venir a verla“, sagen sie – „ihr müsst zu Besuch kommen und es euch ansehen“. Einige Monate später ringt sich das Stadtpaar dann auch tatsächlich zu einem Besuch auf dem Land durch, wo die verschiedenen Persönlichkeiten und ihre Lebensphilosophien aufeinandertreffen.

Noch bevor wir die ersten Filmbilder zu sehen bekommen, öffnet der Film im Vorspann eine metafilmische Klammer, die später, in den letzten Sekunden des Films, geschlossen werden wird. Die Worte „Danke fürs Kommen“ stehen da im Vorspann und begrüßen das Publikum. Der gleiche Satz spricht kurz darauf der Pianist im Café und meint damit natürlich seine Zuhörer*innen. Mit dieser Dopplung legt der Film eine Lesart nahe, die ihn als Metapher für das Kino versteht. So ist auch der Titel zweideutig: „Ihr müsst kommen und das Haus am Land sehen“ und „Ihr müsst kommen und diesen Film im Kino sehen“. Dieser Metakommentar ist eine interessante Spielerei, die sich vielleicht etwas pathetisch, aber doch rührend für das Kino als Ort der Filmerfahrung ausspricht, aber leider im weiteren Verlauf des Films (mit Ausnahme der Schlusssequenz) nicht weiterverfolgt wird.

Die Eröffnungsszene macht auch in anderer Hinsicht das Programm des Films klar. Ganze sechs Minuten (in einem einstündigen Film) hören wir das Klavierkonzert des spanischen Pianisten Chano Domínguez und sehen dabei nacheinander ausschließlich die vier Protagonist*innen, wie sie zuhören. Das gibt Raum, kleine Veränderungen der Gesichtsausdrücke und der Körpersprache zu beobachten und daraus Rückschlüsse auf die Beziehungen der Figuren zu ziehen. In „Tenéis que venir a verla“ geht es nicht um große Handlungsmomente, die die ganze Welt auf den Kopf stellen, sondern um minimale Verschiebungen im Beziehungsgefüge, die sich nur im Detail beobachten lassen.

Lange Gespräche machen einen Großteil des Films aus. Dabei rutscht er zum Teil ein wenig in Klischees ab, wenn es etwa um Vegetarismus, ums Kinderkriegen oder darum geht, dass man am Land für alle Erledigungen ein Auto benötigt. Gleichzeitig unterfüttert Trueba die Dialoge mit Theorien von Sloterdijk und Zitaten aus Gedichten der spanischen Autorin Olvido García Valdés. Die Thesen Sloterdijks sind dabei weniger wichtig als die humorvolle Charakterstudie der Figur, die beim Essen mit Freund*innen ausufernd von diesen Thesen erzählt, mit denen sie sich gerade beschäftigt, bis sie schließlich vom Tisch aufspringt und das komplette Haus nach dem entsprechenden Buch durchsucht, um schließlich daraus vorlesen zu können.

Bleibt also die Frage: Muss man kommen und diesen Film sehen? Es wäre sicher kein Fehler. In seiner kurzen Laufzeit schafft es „Tenéis que venir a verla“, einige interessante oder zumindest amüsante Beobachtungen zu treffen über diese Lebensphase, in der viele für die Familiengründung die Großstadt verlassen. Vor allem die Metakommentare zu Beginn und am Ende des Films sind erfrischend und der omnipräsente Humor sorgt dafür, dass das Kinoerlebnis sicher kein langweiliges wird.
 
 

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