Im Westen nichts Neues

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Forumseintrag zu „Im Westen nichts Neues“ von cinemarkus


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cinemarkus (16.10.2022 21:50) Bewertung
Im Westen was neues
Die erste deutsche Verfilmung von Erich Maria Remarque‘s Anti Kriegs Roman erzählt quasi als Gegenstück zu Filmen wie 1917 von der anderen Seite des Schützengrabens. Edward Bergers Netflix Produktion braucht aber in seiner Bildgewalt und Wirkung den Vergleich mit seinen internationalen Kollegen nicht zu scheuen.

Paul Bäumer meldet sich, obwohl er eigentlich zu jung ist, freiwillig zum Kriegsdienst, da er nicht als einziger aus seinem Freundeskreis zurückbleiben will. Von Patriotismus getrieben und von Propaganda geblendet wollen sie für ihr Vaterland kämpfen. Doch als sie direkt an die Westfront versetzt werden, lüftet sich bald der Schleier des Heldenmuts und sie müssen erkennen dass es aus dieser Hölle möglicherweise kein Entrinnen mehr gibt.

Die Stille mit der der Film beginnt wird durch das Geräusch einschlagender Geschosse durchbrochen und man wird als Zuschauer direkt in die Schlacht geworfen. Das großartige Sound Design ebenso wie die aufwendig gestalteten Sets lassen einen die Gefechte förmlich miterleben. Hier wird nichts geschönt, die Brutalität wird von der ebenfalls hervorragenenden Kameraarbeit in Bildern eingefangen die gleichermaßen wunderschön wie verstörend sind, wenn sich beispielsweise die Luft vom vergossenen Blut rot färbt. Die sonst eher subtile Musik sticht stellenweise mit einem sich immer wiederholenden Hauptthema hervor, dass sofort Unbehagen auslöst wenn es die nächste Bedrohung ankündigt.

Die Geschichte basiert eher lose auf der des Romans, ein paar Szenen wird man als belesener Zuseher jedoch wiedererkennen. Der Intention von Remarques Ausgangsmaterial tut die Änderung keineswegs ab. In einer Reihe von Einstellungen zu Beginn, die den Weg einer Uniform zeigt (und die einen ein bisschen an den Prolog von Andrew Niccols ‚Lord of War‘ denken lässt) wird auf erschreckende Weise die Austauschbarkeit von Soldaten veranschaulicht. Der einzelne Mann ist nichts. Es geht um das große Ganze. Ganz ungeniert hören die Freunde genau diese Worte noch von ihrem Lehrer, der sie für den Krieg begeistern möchte, welche sie aber nicht davon abhalten an die Front zu gehen. Wenn wenige Meter Land mit hohen Opferzahlen erschlossen und just wieder veloren werden fragt man sich wofür hier eigentlich gekämpft wird.

Die Heimaturlaube Pauls aus der literarischen Vorlage weichen hier zugunsten einer mehr frontzentrierten Erzählung. Der Horror der Kampfhandlungen steht im Vordergrund und diese werden mitreißend inszeniert. Schon lange diskutiert man ja deswegen ob dies nicht die Antikriegsbotschaft von Filmen schmälert. Anfühlen tut es sich trotzdem furchtbar.

Die Entscheidung beinahe die gesamte Handlung nur Tage vor Kriegsende anzusetzen, verleihen ihr eine zusätzliche Dringlichkeit, man weiß was für die Charaktere in Sicht ist wenn sie es nur noch ein bisschen länger schaffen, dass diese jenes Wissen aber nicht haben erhöht die Tragik. Dazu trägt ebenfalls eine neu eingeführte Nebenhandlung bei, die die Bemühungen einen Waffenstillstand auszuhandeln zeigt (hier glänzt Schauspielgröße Daniel Brühl als Politiker Matthias Erzberger).
Und das Ende unterstreicht die absolute Sinnlosigkeit des bis dahin Erlebten erst recht.

Burgschauspieler Felix Kammerer als Paul und vor allem Albrecht Schuch, der dessen Mentor ‚Kat‘ Katczinsky verkörpert, führen ein makelloses Ensemble an. Die Beziehung zwischen den beiden bildet den emotionalen Kern der Geschichte und wird von ihren Akteuren überaus wahrhaftig vermittelt.

Mein einziger Kritikpunkt ist, dass sich die Gefechte irgendwann sehr repetitiv anfühlen, und dadurch der Film auch eine Spur zu lang, aber es fragt sich ob man es dem Film wirklich ankreiden kann, zeigt er doch nur möglichst wahrheitsgetreu wie der Alltag an der Front nunmal abläuft.

Im Westen nichts Neues startet am 28. Oktober auf Netflix und ist bis dahin noch in ausgewählten Kinos zu sehen.
 
 

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