When the Waves are Gone

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Forumseintrag zu „When the Waves are Gone“ von Primum

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Primum (14.11.2022 17:50) Bewertung
Von Polizisten und Gangstern
Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
Lav Diaz ist Stammgast bei den großen internationalen Filmfestivals und fordert sein Publikum dabei meist mit den langen Laufzeiten seiner Filme heraus. Angesichts dessen, dass etwa „Evolution of a Filipino Family“ über zehn Stunden dauert, scheint „When the Waves Are Gone“, das jüngste Werk des philippinischen Regisseurs, mit seinen drei Stunden Laufzeit fast ein wenig aus der Reihe zu tanzen. Seiner kontemplativ beobachtenden Erzählweise bleibt Diaz dennoch treu, wenn er hier eine Geschichte erzählt, in der die Unterschiede zwischen Gangster und Polizist immer unbedeutender werden.

Abwechselnd folgen wir den zwei Protagonisten des Films. Da wäre zunächst Lieutenant Hermes Papauran, ein Polizist, Ausbilder und einer der besten Ermittler des Landes, der als solcher in die rigorose und brutale Anti-Drogen-Kampagne des philippinischen Staates und seines Präsidenten Rodrigo Duterte eingebunden ist und der sich schließlich, mit dieser Schuld beladen und an Schuppenflechte erkrankt, zur Erholung in das Haus seiner Schwester zurückzieht. Auf der anderen Seite steht Primo Macabantay, ein ehemaliger Polizist, der gerade nach zehn Jahren aus dem Gefängnis freikommt, wo er zum Christentum gefunden hat. Nun ist er auf der Suche nach Hermes, um Rache dafür zu üben, dass dieser ihn hinter Gitter gebracht hat.

„When the Waves Are Gone“ präsentiert uns also zwei Gegenspieler, deren Leben auf vielfache Weise miteinander verknüpft sind. Sie treffen als Polizist und Verbrecher aufeinander, aber die Kategorien „gut“ und „böse“ gibt es in diesem Film nicht – und Gewinner schon gar nicht. Beide trachten dem jeweils anderen nach dem Leben, obwohl sie sich doch eigentlich so ähnlich sind – oder vielleicht gerade deswegen. Bis zum finalen nächtlichen Showdown im Hafen streifen die beiden Protagonisten unabhängig voneinander durch die Welt und hinterlassen nichts als Verwüstung. Der Polizist Hermes zeigt sich gleich zu Beginn gewaltbereit, als er herausfindet, dass seine Frau ihn betrügt. Und auch seine Schwester, in deren Haus am Meer er später zur Erholung unterkommen möchte, nimmt ihn aufgrund seines rücksichtslosen Verhaltens in der Vergangenheit zunächst nur widerwillig bei sich auf. Zerstörung und Verfall ist alles, was in diesem Film übrigbleibt. Sogar besagtes Haus wird wohl nicht mehr lange bestehen, es werde vom Meer gefressen, sagt Hermes‘ Schwester. Primo, gerade als gläubiger Christ aus dem Gefängnis entlassen, zieht als solcher durch die Straßen und möchte nun mit Gewalt die Menschen, denen er begegnet, zum Christentum bekehren. Bei einem seiner brutalen Taufrituale kommt (versehentlich?) eine Prostituierte in seinem Hotelzimmer ums Leben. Es gibt keine Hoffnung in „When the Waves Are Gone“. Gewalt ist das Einzige, was Hermes‘ und Primos Leben einen Sinn gibt. Und sonst bleibt ihnen nur das Tanzen.

Diaz zeigt in seinen stimmungsvollen Schwarz-Weiß-Bildern eine trostlose Welt, die ausschließlich von Polizisten, Verbrechern, Drogensüchtigen und Prostituierten bevölkert zu sein scheint. Vor allem aber ist es ein ungemein politischer Film, der explizit zur Zeit der Duterte-Regierung spielt. Wir lernen etwa einen Fotografen kennen, der das grausame Vorgehen des Staates gegen Drogenabhängige und Kleinkriminelle in „Nightcrawler“-Manier dokumentiert. Diese Aufklärungsarbeit wird von der Politik verleumdet und bekämpft, sodass die Kamera, die Fotos schießt, zur Waffe wird gegen die Pistolen, die Menschen erschießen. Jede Szene, jede Begegnung ist von diesem spezifischen politischen Hintergrund beeinflusst. Manchmal wird er nur beiläufig verhandelt, etwa wenn im Nebensatz besprochen wird, dass der Mann von Hermes‘ Schwester verschwunden ist. An anderen Stellen spricht es der Film in aller Deutlichkeit aus. „Fuck the Philippines!“ ist ein Satz, der gegen Ende des Films geäußert wird, und es fällt nicht schwer, sich den Titel des N.W.A-Songs „Fuck tha Police“ dazuzudenken. Dass beides nicht voneinander zu trennen ist, betont Hermes‘ Schwester, als sie ihm vorwirft, dass er als Polizist Teil des Systems ist, dessen Handlungen ihn (innerlich wie äußerlich) krank machen. „Fuck all of you“, fasst sie da zusammen.

„When the Waves Are Gone“ zeigt eindrucksvoll, dass es in einem Staat, der große Teile der Gesellschaft systematisch unterdrückt und die Schwächsten tötet, zwischen einem Gangster und einem Polizisten keinen Unterschied mehr gibt. Die bedrückende Stimmung, die sich durch den Film zieht, sorgt dafür, dass man sich dabei beobachtet, wie man darauf hofft, dass das Schrecken bald ein Ende hat. Lav Diaz gelingt ein bemerkenswertes Portrait der philippinischen Gesellschaft unter Duterte, das vor allem in seiner Betrachtung des Polizistenberufs überzeugt.
 
 

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