Good Life Deal

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Forumseintrag zu „Good Life Deal“ von Reinderl

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Reinderl (10.04.2022 09:16) Bewertung
Tschüss für immer
Exklusiv für Uncut von der Diagonale
„Tschüss für immer“, mit diesen Worten verabschiedet sich Gerhard von seiner Wohnung in Wien. Er setzt sich in ein Flugzeug und fliegt weg. Mit dem Vorsatz in Thailand zu bleiben, mit dem Vorsatz dort Amy, seine thailändische Freundin, zu heiraten.

Der Film beginnt mit Blick über die Wiener Hausdächer, Straßenlärm im Hintergrund und zwei Männerstimmen, die sich am Telefon unterhalten. Die langjährige Freundschaft merkt man an der Art, wie sie miteinander sprechen, auch über Frauen. Da gibt es keine Tabus, sie schütten sich das Herz aus. „Du isst gegrillten Fisch und wirst dort zehn Jahre jünger,“ sagt Gerhard ins Telefon. Er bereitet sich aufs Weggehen vor, wird die Wohnungstür bald zum letzten Mal hinter sich geschlossen haben. Im Mai möchte er seine Amy heiraten.

Schon beim Hinausgehen durch die Wohnungstür merke ich als Zuseherin, dass Gerhard in seinem Jogginganzug und mit den grauen Haaren, die vom Kopf abstehen, kein gewöhnlicher Mann ist. Er tut sich schwer. Er greift sich an den Kopf, als er die Schwelle überschritt, und bittet die Regisseurin Ghahremani, ihm mit der Türe zu helfen. Bereits in diesem Moment hat sie mich eingefangen, ich weiß, wie persönlich dieser Film sein wird, und dass er in die Tiefe geht.

Ghahremanis Kamera begleitet Gerhard wie eine Freundin, die ihm zuschaut, und ihn genau betrachtet, ihn aber nicht beurteilt. Dass die Regisseurin so früh im Film bereits so sichtbar wird, hat mir persönlich besonders gefallen.

Ursprünglich wollte Ghahremani mit Gerhard, den sie über eine Schulfreundin kennengelernt hat, einen anderen Kurzfilm machen. Sehr spontan entstand die Idee für dieses Projekt, so spontan wie Gerhards Abreise. Er hat alles auf eine Karte gesetzt, und Ghahremani beschloss, ihn zu begleiten.

Exotische Bilder. Bilder von Amy. Stark geschminkt und ganz in weiß gekleidet macht sie ihre Einkäufe. Zwischen den Marktständen, auf denen alle Arten von toten Fischen verkauft werden, bewegt sie sich wie ein Filmstar. Sie hat es geschafft. Bilder von Gerhard und Amy, die sich die Karten legen lassen. Die Übersetzungen, die Amy für Gerhard macht, weichen manchmal ein wenig ab von dem, was sie wirklich gefragt hat. Bilder von Kinderköpfen an den Wänden. Gerhard beim Schlafen auf seiner Manchester United Bettwäsche und beim Fußballgespräch mit den männlichen Mitgliedern von Amys Familie. Das Haus, in dem die Familie leben wird. Stolz zeigt sie es her.
Die Kamera begleitet das Paar bei den Spaziergängen, wo Amy Gerhard, der im Rollstuhl sitzt und sich nicht immer so gut bewegen kann, vor sich herschiebt, zu Arztbesuchen und beim Aufbau des Business, das sich Amy vorgestellt hat. Sie kauft Möbel und Bilder. Sie will Silberschmuck an Touristen verkaufen.

Da ist nicht immer alles eitel Wonne. Gerhard spottet über Amys Mundwerk, Amy will Gerhard überallhin mitnehmen, dem das zu anstrengend ist, Dinge kosten mehr als geplant. Man diskutiert. Zwei Welten treffen aufeinander. Ein Miteinander scheint jedoch möglich. Erst im zweiten Teil spitzt sich die Situation dramatisch zu. Was man während des Films zu hören bekommt, ist oft die alltägliche Geräuschkulisse vor Ort. Ghahremani, die beim ersten Dreh im Haus von Amy und Gerhard gewohnt hat, hat als One-Man-Crew auch den Ton vor Ort selbst aufgenommen.

David Glowskys Studie „Globale Partnerwahl – soziale Ungleichheit als Motor transnationaler Heiratsentscheidungen“, die fragt, warum sich vor allem deutsche Männer dazu entschließen, Frauen aus einem wirtschaftlich schwächeren Land zu heiraten, hat Ghahremani inspiriert. Sie stellt sich in dem Filmprojekt die Frage nach den Rollenbildern in Paarbeziehungen, die durch Ungleichheiten entstanden sind. Sie hat ein einfühlsames Portrait einer Situation gezeichnet, in der sich zwei Menschen begegnen, die imperfekt sind und deren Kennenlernen bereits auf einer Schieflage aufbaut. Sie ist mit der Kamera ganz nah an den Personen und zeigt ihr eigenes Betroffensein.

Was den Film so besonders macht, ist auch, dass er nicht beurteilt, dass er kein Opfer und keinen Täter benennt. Er begleitet, lässt Amys und Gerhards Besonderheiten und Macken für sich selbst erzählen, zeigt aber auch Momente, in denen sie sich nah sind und etwas füreinander tun. „Good life deal“ ist ein Film, der einem noch einige Zeit nachgehen wird.
 
 

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