Flux Gourmet

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Forumseintrag zu „Flux Gourmet“ von UR_000

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UR_000 (06.11.2022 22:41) Bewertung
Der satirische Gesang der Küchengeräte
Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
Kochen und Kulinarik scheinen momentan zum Trendthema im Film zu werden. Der britische Filmemacher Peter Strickland („In Fabric“) legt mit „Flux Gourmet“ eine Satire vor, die sich in diese Kategorie einordnet.

„Flux Gourmet“ dreht sich um ein kulinarisches Künstlerkollektiv, das auserwählt wurde, um ein Monat lang am berühmten Sonic Catering Institute seiner Berufung nachzugehen. Sowohl die Vorbereitungen als auch die Kunst- und Koch-Performances sollen von einem Journalisten haargenau dokumentiert werden. Hinter den Kulissen entspinnt sich bald ein Machtkampf unter den Mitgliedern und mit der Fördergeberin Jan Stevens. Außerdem wird das künstlerische Vorhaben von Konkurrenten, die abgelehnt wurden, bedroht.

Stricklands Satire beobachtet genussvoll, wie sich das Monat am Sonic Catering Institute entwickelt. Es folgt einer strengen Gleichförmigkeit mit ritualistischem Charakter. Dieser bestimmt auch die Struktur des Films, viele Elemente wiederholen sich fast Tag für Tag. Das reicht vom gemeinsamen Aufstehen des Künstlerkollektivs, über die inspiratorische Rede beim gemeinsamen Abendessen mit der Gönnerin, die Performances der kulinarischen Kunst selbst bis hin zur sexuellen Orgie nach den von treuen Bewunderern umjubelten Aktionen. Dieser Einsatz von Motiven und Wiederholungen erinnert an musikalische Gestaltung, wie Filmemacher Strickland beim Gespräch auf der Viennale verrät.

Dazwischen lässt der Regisseur seine Figuren über die Machtverhältnisse innerhalb der Gruppe verhandeln. Elle (Fatma Mohamed) hat sich selbst zur künstlerischen Leiterin ernannt. Sie betrachtet Lamina (Ariane Labed) und Billy (Asa Butterfield) als ihre Gehilfen, die ohne ihr Genie nicht überleben könnten. Um die Frage der künstlerischen Freiheit und Verwirklichung noch genauer unter die Lupe zu nehmen, bringt Strickland die exzentrische Gönnerin Jan Stevens (Gwendoline Christie) ins Spiel. Diese meldet offen Änderungsvorschläge an und spinnt im Hintergrund allerlei Intrigen. Die Differenzen untereinander, heimliche Allianzen und die Bedrohung durch eine rivalisierende Künstlergruppe bringen leise Spannung in die Handlung.

Für Lacher sorgen hauptsächlich die Eigenheiten der Figuren. Deren Macken sind kreativ, herrlich überspitzt und absurd. So protzt der erzkonservative Arzt ständig mit Zitaten wichtiger Männer, besonders gerne, um den eher fleißigen als begnadeten Journalisten Stones bloßzustellen. Der Schreiberling mit künstlerischen Ambitionen sorgt sich indes ständig um seine Verdauungsbeschwerden und damit einhergehende Geräusche. Jedes Mitglied des Künstlerkollektivs hat eigene Schwächen und Fetische; manche haben sogar mit Essen und Kochen zu tun. Allzu viel soll an dieser Stelle nicht verraten werden…

Peter Strickland verwebt in „Flux Gourmet“ Kochen, Kunst, Musik, Ton, Lust und Verdauungsprobleme. Der Filmemacher bannt diese außergewöhnliche Kombination äußerst sinnlich auf Celluloid. Vor allem bei den im Bild eingefangenen Performances entstehen Bild- und Klangteppiche. Die Kamera nähert sich dampfenden Pfannen, brutzelnden Gerichten und im Mixer pürierten Lebens- und Quasilebensmitteln. Der Blick kostet Farben und Konsistenz der eingefangenen Objekte aus. Die passenden Geräusche zu den Kochaktivitäten sind zu hören, werden aber meist durch Sounddesign verändert. Die Künstler*innen im Film mixen und mischen, werden zu Küchen-DJs. Der Club kommt in die Küche, Konzert-Feeling wird spürbar. Alles wird zur Show. Das Zusammenspiel sowie die Brüche zwischen Bild und Ton sorgen für sinnlich eindrucksvolle Szenen.

Strickland spielt in „Flux Gourmet“ gekonnt mit der Rolle von Publikum und Erwartungen in der Kunst, wenn er die an Aktionismus erinnernden Performances in all ihrer Körperlichkeit einfängt. Da fließen allerlei Säfte, Kunstblut, bräunliche Pasten werden verkostet... Der Regisseur lotet die Grenzen des guten Geschmacks aus und ruft damit in Erinnerung, dass bei Kunst nicht alles Sein, sondern genauso Schein sein kann. Aber vielleicht nicht muss, wie die düstere Schlusspointe suggeriert.

Zu erwähnen ist unbedingt noch das Kostümdesign. Vor allem die überkandidelten Outfits der Mäzenin Jan Stevens ergänzen und unterstreichen deren exaltierte Persönlichkeit wunderbar, ein Rausch an Farben und Stoffen. Für die Mitglieder des Kollektivs wurden ebenfalls Kostüme kreiert, die deren Charakter und ihrem Status als Künstler*innen Ausdruck verleihen. Ein hoher Schauwert ist für Mode-Enthusiasten garantiert!

Für anspruchsvollere Zuschauer*innen sind vor allem die ausführlich beleuchteten Performances des Künstlerkollektivs und ihre Verbindung zum Kunstbegriff an sich interessant. Sie stehen im Zentrum des satirischen Blickes. Denn in „Flux Gourmet“ kann und wird alles zur öffentlichen Aufführung kommen. So werden auch der an Blähungen und Flatulenzen laborierende Journalist Stones und seine körperlichen Leiden zum Objekt für das Kunstprojekt. Das ist natürlich eine provokante Ansage dazu, was alles als hohe Kunst angesehen werden kann, was Künstler*innen dem Publikum verkaufen können.

Bei der Berlinale 2022 war Peter Stricklands Film in der Sektion „Encounters“ für den begehrten Preis nominiert. Warum er in einer Schiene präsentiert wurde, die dem unabhängigen, eher experimentellen Kino gewidmet ist, wird rasch klar. „Flux Gourmet“ ist kein konventioneller Film, der sich einfach zwischendurch konsumieren lässt. Es ist eine größtenteils gelungene Satire, die Fragen nach dem Kunstbegriff, der künstlerischen Freiheit und den ethischen Grenzen von Kunst stellt. Es ist ein sinnlicher Film, wenngleich nicht nur angenehme Erfahrungen, sondern viele einst tabuisierte Themen in den Fokus gerückt werden. Das geschieht mitunter reichlich plakativ, ist aber Teil der satirischen Überspitzung und funktioniert vorzüglich.

„Flux Gourmet“ trifft wohl nicht jedermanns Geschmack, vermag aber köstlich zu unterhalten, wenn man sich darauf einlässt. Strickland scheint allerdings allzu viele Themen ansprechen zu wollen, weshalb der Film ein wenig überladen daherkommt.
 
 

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