This Much I Know to be True

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Forumseintrag zu „This Much I Know to be True“ von anachronista

anachronista (19.02.2022 16:37) Bewertung
Erhabene Momente der Wahrheit
Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2022
Er habe eine Umschulung zum Keramiker hinter sich, da man nun als Musiker ja nicht mehr seinen Lebensunterhalt bestreiten kann, scherzt Nick Cave. Dann wird seine Miene ernster und er zeigt nacheinander Exponate einer Serie von Skulpturen, die eine Art Coming-of-Age-Geschichte des Teufels erzählen. Was lustig beginnt, wird schnell finsterer, als der Teufel in einer dieser Szenen seinen eigenen Sohn opfert, später selbst ausblutet und schließlich zum Sterben zurückgelassen wird.

Cave hat einen seiner eigenen Söhne verloren und sagte deshalb die für 2016 geplante Tour zum Album „Skeleton Tree“ ab. Das Album präsentierte er trotzdem, in einem Film von Andrew Dominik. Dieser hat nun mit „This much I know to be true“ nachgelegt, der auf der Berlinale in Caves vorübergehender Wahlheimat während der 80er-Jahre Premiere feierte. Gewissermaßen hat er die Bildsprache, die er schon im ersten Film entwickelt hat, um Caves kreatives Arbeiten zu porträtieren, weiter verfeinert. Bei „This much I know to be True“ handelt es sich im Gegensatz zu seinem Vorgänger um einen Farbfilm.

Cave, dessen glatt gekämmten, pechschwarzen Haare und buschigen Augenbrauen ebenso zu seinem Markenzeichen geworden sind wie der Anzug identischer Farbe, performt mit seinem ehemaligen Bandkollegen Warren Ellis einige Stücke der letzten beiden Studioalben „Carnage“ und „Ghosteen“. Mit dabei ist mal ein Streichquartett, mal eine Gruppe von unterstützenden Background-Sängern. Auch Schlagzeug und Gitarre werden eingesetzt, aber stets sehr bedacht. Im Fokus stehen Caves durchdringende Stimme, die er mit dem Flügel begleitet, und die vom Multiinstrumentalisten Ellis eingespielten, transzendental wabernden Synthie-Klänge. Die Kamera verhält sich dynamisch: Mal sind wir Cave ganz nah, mal zirkelt die Kamera um das Ensemble oder fokussiert sich auf die Hände der Musiker. Eine ganze Batterie an Scheinwerfern setzt das ganze in Szene und sorgt mit buntem Licht dafür, dass manchmal wirklich fast Konzertstimmung aufkommt. Der große, ballsaalartige Raum, in dem die Studiosession stattfindet, hat etwas Sakrales, mit den Orgelpfeifen, die im Hintergrund aufragen.

Das passt zu den Inhalten der Stücke. Es geht um große Themen, um Spiritualität, Verlust, Liebe, Trauer, Schmerz sowie Krieg und Frieden. Caves Gespür dafür, poetische Texte zu erschaffen, wird nicht nur anhand der Song-Lyrics deutlich, sondern auch in den kurzen Gesprächsfetzen, die die Musikszenen jeweils nach ein paar Songs unterbrechen. In einer dieser Szenen liest Cave einen berührenden Brief vor, den er einem Fan als Antwort auf dessen verzweifelte Nachricht schickt. Ansonsten erzählen sie – jeder für sich – vom Schaffensprozess. Warren schildert ehrfürchtig von Momenten, in denen ein meditativer, nahezu unerklärlicher Zustand einsetzt, dessen Resultat besonders, ja beinahe magisch ist. Cave drückt es etwas kritischer aus. Die Augenblicke musikalischer Genialität seien „Schnipsel in einem Ozean von Bullshit“ (snippets in an ocean of bullshit). Entweder untertreibt Cave hier maßlos, oder der Film schafft es, eine Schnipselsammlung zu vereinen.

Es wird nicht einmal der Versuch unternommen, das Equipment wie etwa die Schienen für die Kameraführung oder die Beleuchtungsanlagen zu verstecken. Auch Kameramänner, die Masken tragen, sind in einigen Aufnahmen zu sehen. Durch diese Sichtbarkeit verweist der Film zwar auf seine eigene Gemachtheit, was aber nicht daran hindert, sich auf die Musik und Performance zu konzentrieren.

„This much I know to be true“ macht deutlich, dass Nick Cave, und vielleicht steht der Ausnahmemusiker hier ausnahmsweise mal exemplarisch auch für andere Kollegen, sich (trotz Keramikexperimenten) weiter der Musik widmet und sich danach sehnt, seine Musik da zu präsentieren, wo sie hingehört: auf der Bühne.
 
 

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