Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall

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Forumseintrag zu „Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall“ von MrsBlonde

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MrsBlonde (03.11.2022 23:14) Bewertung
Zufällige Begegnungen
Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
Die Filme des südkoreanischen Regisseurs Hong Sang-soo umgeben stets eine besondere Aura. Subtil inszeniert und möglichst nah am Realismus angesiedelt, vertraut er dabei nicht selten auf eine minimalistische Stilistik sowie eine Handvoll Schauspieler*innen, auf die er immer wieder zurückgreift. Allen voran Kim Min-hee, mit der er seit „Right Now, Wrong Then“ (2015) an insgesamt zehn Filmen zusammengearbeitet hat und seitdem auch privat liiert ist (was für einen Skandal in den südkoreanischen Medien sorgte, da Hong zu der Zeit noch verheiratet war). Im Zuge der diesjährigen Viennale standen gleich zwei Werke des koreanischen Altmeisters auf dem Programm – „The Novelist’s Film“ und „Walk Up“ – die beide in Anwesenheit des Regisseurs präsentiert wurden. Für „The Novelist’s Film“ erhielt Hong außerdem den diesjährigen Großen Preis der Jury der Berlinale und damit den dritten Silbernen Bären in Folge. Das Österreichische Filmmuseum zeigt aktuell wiederum eine Werkschau zu seinen frühen Werken.

Die Schriftstellerin Jun-hee (Lee Hye-yeong) begibt sich auf eine Wanderung, von Ort zu Ort, von Mensch zu Mensch. Die Personen, die sie dabei trifft, sind alte Bekannte oder neue Gefährt*innen, die Begegnungen zumeist zufällig. Nach Abstechern zum Buchladen einer Freundin und einem Aussichtsturm, findet sich die Autorin in einem Park wieder, wo sie auf die Schauspielerin Kil-soo (Kim Min-hee) trifft, die zurzeit eine Schaffenspause einlegt. Trotzdem entschließen sich die beiden Frauen - und gegenseitigen Bewunderinnen - gemeinsam einen Film zu drehen.

Regie, Drehbuch, Kamera, Produktion, Schnitt, Musik: wenn man den Abspann von „The Novelist’s Film“ genauer betrachtet, staunt man nicht schlecht, wenn der Name Hong Sang-soo hinter fast jeder Tätigkeit aufscheint. Lediglich beim Sound setzt er auf eine andere Person; aus rein praktischen Gründen, wie er während dem Publikumsgespräch der Viennale bemerkt. Hong Sang-soo ist also ein Auteur, wie er im Buche steht. Die Herangehensweise, mit der sich der Regisseur neuen Filmprojekten widmet, ist deshalb auch möglichst offen gehalten: Das Erste, was er auswählt, sind die Location und die Darsteller*innen. Vorab gibt es zwar kein fixes Screenplay, zwei Wochen vor Drehbeginn hat Hong allerdings eine ungefähre Struktur im Kopf. Das Drehbuch schreibt er dann meistens am Vorabend oder Morgen des Drehtags. Gefilmt wird chronologisch und auch der Schnitt erfolgt geordnet. Der Großteil des Rohmaterials landet dabei tatsächlich im fertigen Film.

Passend dazu lässt sich der Regisseur gerne von der Realität inspirieren: So wusste er beispielsweise, dass seine Produktionsassistentin, die auch im Film (als Tochter der Buchhändlerin) zu sehen ist, Gebärdensprache lernt – ein Umstand, den Hong sogleich in seinem Film verwendet hat. Es wird gegessen, es wird getrunken und dabei auch nicht auf echten Alkohol verzichtet. Ebenso wird gegen Ende eine private Aufnahme von Hong, Kim und deren Mutter verwendet, die sich in ihrer Textur zwar vom restlichen Film unterscheidet, sich aber gerade deshalb so gut in diesen eingliedert. In „The Novelist’s Film“ kommt nämlich abgesehen von dieser Originalaufnahme eine Ästhetik zum Einsatz, auf die Hong Sang-soo schon in „Hotel by the River“ oder „Introduction“ zurückgegriffen hat: die Bildgestaltung in Schwarzweiß. Ergänzt wird dieses doch recht kunstvoll wirkende Stilmittel durch eine unbewegliche Kamera, bei der zwar hin und wieder ein Zoom zum Einsatz kommt, auf Schnitte innerhalb der jeweiligen Szenen jedoch komplett verzichtet wird. Dies hat einen eingängigen Erzählfluss zur Folge, der die Kamera von Szene zu Szene regelrecht durchgleiten lässt.

Hong Sang-soos Filmografie mag auf den ersten Blick repetitiv wirken, gerade der Einsatz bestimmter Muster und Wiederholungen macht aber gleichzeitig auch den Hauptgrund aus, weshalb sich sein Gesamtwerk so gut ergänzt. Für den Regisseur geht es ohnehin vorrangig um den Prozess des Filmemachens selbst, wobei Spontanität ein höheres Gut zu sein scheint als rigorose Planung. Und so liefert Hong Sang-soo mit „The Novelist’s Film“ eine geradezu minimalistische Reflexion auf das Leben, die die Essenz des realistischen Kinos raffiniert einfängt. Frei nach dem Motto: Let’s see what happens.

Wenn man bedenkt, dass „The Novelist’s Film“ innerhalb von zwei Wochen gedreht wurde, ist das mehr als beeindruckend.
 
 

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