Spencer

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Forumseintrag zu „Spencer“ von chrosTV


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chrosTV (03.11.2021 13:05) Bewertung
Kristen Stewart brilliert als Lady Di
Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
Filmische Auseinandersetzungen mit der britischen Königsfamilie gab es in der Vergangenheit schon zuhauf. Insbesondere das tragische Schicksal von Diana Spencer, die dem Vereinigten Königreich von 1981 bis zu ihrem verheerenden Unfalltod im Jahre 1996 als Kronprinzessin diente, wurde für Kino und Fernsehen bereits ausgiebig ausgeschlachtet. Mit seinem neuen Film nähert sich nun auch der gebürtige Chilene Pablo Larraín dem Leben der Fürstin von Wales an. Nach dem 2016 erschienenen „Jackie“ handelt es sich bei „Spencer“ bereits um Larraìns zweites Porträt einer zerrissenen jungen Frau, die Teil einer politischen Dynastie wurde. Das Medienecho war nicht klein, als bekannt wurde, dass keine geringere als Kristen Stewart Diana mimen würde. Ist ausgerechnet der einst verrufene „Twilight“-Star die richtige Wahl, um eine der tragischsten Figuren der jüngeren Zeitgeschichte glaubhaft zu verkörpern? Und eines sei vorweg gesagt: das ist sie definitiv!

Das biographische Drama spielt sich im Dezember 1991 und erstreckt sich über den Zeitraum von drei Tagen. Die Weihnachtszeit ist angebrochen und Kronprinzessin Diana (Stewart) realisiert immer mehr, dass sie das Leben im britischen Königshaus kaum erfüllt. Weder die Ehe mit Prinz Charles (Jack Farthing) noch die strengen Regelungen, die ihr von der Royal Family aufs Auge gedrückt werden, machen die zweifache Mutter glücklich. Sie fühlt sich in ihrem Alltag von allen Seiten eingeengt und beobachtet. Da hat das alljährliche pompöse Weihnachtsfest der Familie gerade noch gefehlt. Dabei will die junge Fürstin von Wales doch einfach nur frei sein und hofft auf ein Wunder…

Wie schon in „Jackie“ verzichtet Pablo Larraín auch in seinem neuesten Porträt einer Frau, die sich nur schwer mit ihrem neuen Familienlabel identifizieren kann, auf gängige Klischees der Filmbiografie. Das einfühlsame Drehbuch von Steven Knight gibt der Kronprinzessin das nötige Maß an Würde und Persönlichkeit zurück, das ihr von den sensationshungrigen Medien genommen wurde. Begleitet wird das Drama mit herbstlichen Aufnahmen von Kamerafrau Claire Mathon („Porträt einer jungen Frau in Flammen“), die in Kombination mit dem prächtigen Szenenbild eine Bildsprache ergeben, die gleichermaßen schön wie bedrückend ist. Ein Sinnbild, das sich auf die gesamte königliche Familie übertragen ließe: ein hochglanzpolierter Haufen hinter dem einiges an Leid und Elend schlummert. Jonny Greenwoods jazziger Score gibt die melancholische Grundstimmung, die aber nie ins Melodramatische umschlägt, passend wieder.

Der Film würde aber nur halb so gut funktionieren, wäre da nicht die sensationelle Leistung der Hauptdarstellerin. In der bisher wohl größten Rolle ihrer Karriere beweist Kristen Stewart, die in den letzten Jahren bereits mehrfach im europäischen Arthouse ihr Talent unter Beweis stellen konnte, dass sie ihre „Twilight“-Tage längst hinter sich gelassen hat. Stewart mimt Lady Di als komplexe Figur voller Neugier und Empathie für ihre Mitmenschen, deren sonniges Gemüt jedoch von den künstlichen und erdrückenden Verhaltensmustern einer mächtigen Monarchenfamilie im Keim erstickt wird. Die César-Preisträgerin erschafft ein dreidimensionales Porträt der gebürtigen Waliserin und verschwindet förmlich hinter der Rolle. Selten hat eine Amerikanerin einen derart glaubwürdigen britischen Akzent hinbekommen. Stewart darf sich für ihre eindringliche Schauspieldarbietung realistische Chancen auf eine Oscar-Nominierung ausmalen. Die Besetzung wird durch weitere bekannte Namen wie Timothy Spall, Sally Hawkins oder Sean Harris ergänzt, die den königlichen Garten mit Leben füllen.

Nach dem eher enttäuschenden „Ema“ kehrt Pablo Larraín für „Spencer“ in filmemacherischer Topform zurück. Dem chilenischen Regisseur ist eine mit Empathie und Wärme erzählte und zu keiner Sekunde ausbeuterische Charakterstudie über eine junge Frau gelungen, der in einem Schwall von tragischen Schlagzeilen die eigene Identität beraubt wurde. Kristen Stewart beweist ihren Gegnern ein für alle Mal, dass weit mehr Facettenreichtum in ihr schlummert, als einen oberflächliche Memes, die seit Jahren im Netz kursieren, glauben ließen. Wunder gibt es also doch noch immer wieder.
 
 

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