Bad Luck Banging or Loony Porn

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Forumseintrag zu „Bad Luck Banging or Loony Porn“ von susn

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susn (05.03.2021 14:04) Bewertung
Unterhaltsam-angriffslustiger Hieb auf eine bigotte Gesellschaft
Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2021
Wenn Radu Jude das Ruder in der Regie übernimmt, dann ist meistens damit zu rechnen dass einerseits eine bitterböse Abrechnung mit der allgemeinen, und der rumänischen Geschichte, andererseits ein bissig-witze Realsatire, deren Auswüchse wohl die meisten schon einmal so erlebt haben zu erwarten ist. In seinem jüngsten Werk, das gerade den Goldenen Bären der Berlinale gewonnen hat, taucht er nicht nur in die heuchlerischen Doppelstandards ein, was weibliche Selbstbestimmung und Sexualität betrifft. Er weitet auch den Blick, manchmal ein wenig zu sehr, manchmal genau auf den Punkt, auf die allgemeinen gesellschaftlichen Krankheiten unserer Zeit aus und stellt diese in Beziehung zu seiner für sich schon prekären Ausgangssituation.

Stein des Anstoßes ist das ungewollt geleakte Sextape der Lehrerin Emi (Katia Pascariu). Zu sehen sind Rollenspiele, Fellatio sowie auch viel schmutziges Gerede. Wie es online gegangen ist, ist unklar. Der Direktorin der Schule (Claudia Ieremia) erklärt sie, es war vermutlich der Ehemann, aber das ist nur eine Ablenkung von der Anschuldigung, sie hätte selber die Aufmerksamkeit gesucht. Wie man weiß, was einmal im Internet ist lässt sich nicht mehr einfach so entfernen. Und obwohl Emi und ihr Mann Eugen sich darum gekümmert haben es schnell zu entfernen, verbreitet es sich auf Pornowebsiten, Sexblogs und unter Emis Schülern weiter. Die Eltern sind empört und fordern zu einem Gespräch. Was Emi aber letztendlich erwartet gleicht einem hetzerischen Prozess, in dem die Eltern, vollgeladen mit jingoistischer Egomanie, latentem Rassismus und Sexismus sowie scheinheiliger Doppelmoral, sie als moralverkommendes schlechtes Vorbild zur Kündigung zwingen wollen.

Unterteil in drei Teile, bastelt Radu Jude hier einen sich zuspitzenden Fleckerlteppich der Aufwiegelungen. Zunächst folgt er seiner Protagonistin durch die COVID und Stress geprägten Straßen Bukarests, wie sie versucht mittels Telefonaten mit ihrem Mann der Sache Herr zu werden und mit der Direktorin weitere Schritte bespricht. Diese gibt sich auch zunächst noch unterstützend, aber spätestens beim Elternabend zeigt sich auch an ihr der gleiche Opportunismus. Das Prestige der Schule muss gewahrt werden, statt hart durchzugreifen wird sie die Entscheidungsgewalt in die Hände der aufgebrachten Eltern geben.

Bereits in der Odyssee Emis durch den Tag legt Jude erste Augenmerke auf das, was er im zweiten Teil in den Fokus rücken wird. Vorbei geht es an mit Werbung zugepflasterten Straßen, mit zurechtgemachten Barbies, nackten Schaufensterpuppen, Werbeschaltungen, in denen Assoziationen erweckt werden, während eine Frau genießerisch mit ihrem Mund einen Schwall an weißer Flüssigkeit, in dem Fall Milch, mit dem Mund auffängt. Immer wieder drehen sich Männer zu ihr um, die ihr zurufen sie solle ihr bestes Stück lutschen, oder sich aufdringlich an sie heranmachen. Aber Alltagssexismus und Objektivierung ist nicht Judes alleiniges Ziel. In einem zweiten Abschnitt widmet sich der Film der so typischen Jude-Collage von Eindrücken und Anekdoten, die die dunklen Ecken unserer Gesellschaft offenbaren. Objekte und Worte, denen vielleicht nicht einmal diese Macht von vorherein zugesprochen wird, die aber oft eine eigene dunkle Geschichte beherbergen.

Ob nun der Opportunismus im Zweiten Weltkrieg, die faschistische Geschichte des Militärs, während vor der Kamera eine fröhliche Parade stattfindet, eine stereotypenhafte Blondine, die von einem als Stier verkleideten Mann gejagt wird, bis sie sich seiner Vergewaltigung bereitwillig hingibt, die engen Verbindungen der Kirche zu Diktatoren, glühender vergangener oder gegenwärtiger Antisemitismus oder die frühe Indoktrinierung der Jugend mit kriegshetzerischen Liedern, die willige Frau hinter dem Herd oder die Negierung der Kulturausübung durch Minderheiten im Land. Selbst der Nationalpoet Mihai Eminescu wird hervorgehoben als Methode der Gesellschaft, gewisse konservativ-nationalistische Normen zu pushen.

Das Ganze führt letztendlich in den dritten Teil, eine „Sitcom“ wie Jude es zynisch benennt. All diese Punkte, die er angeprangert hat, vereinen sich in der Anhäufung der Eltern. Gesellschaftlich besser gestellte Piloten, faschistoide Generäle, überhebliche Mütter, die auf Minderheiten schimpfen aber nichts dagegen haben sich als solche auszugeben wenn es um Profit gibt, alte geile Lustmolche, die gerne noch mal ausgiebig das Video studieren und kommentieren, nur um nachher die Lehrerin zu beschimpfen. Es scheint, so will Jude wohl sagen, als würde diese Truppe an Hyänen nur darauf warten eine Schwachstelle zu finden, an der sie ihren ungebeutelten Bias auslassen kann. Eine Frau mit sexuellem Selbstbewusstsein ist das der ideale Angrifftspunkt. Von Sex geht es auch dann schnell zu Nestbeschmutzerin und Verschwörungstheorien.

Jude weiß, dass er hier kein realistisches zufriedenstellendes Ende bieten kann. So sind wir als Zivilisation einfach noch nicht geschaffen. Er bietet dem Zuschauer die Wahl mit offenem Ende. Und sagt sowohl in seinen realen Grundpfeilern als auch in seinem grotesk-unterhaltsamen Wunschdenken so viel mehr über uns als Gesellschaft aus, als es so manch anderes Drama geschafft hätte.
 
 

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