In the Earth

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Forumseintrag zu „In the Earth“ von juliap

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juliap (01.02.2021 11:40) Bewertung
Folkhorror im Lockdown
Exklusiv für Uncut vom Sundance Film Festival
Dass Ben Wheatley ein vielseitiger Regisseur ist, hat er mit zahlreichen Produktionen verschiedener Genres bewiesen, eine größere Fangemeinde hat er allerdings vor allem durch Horrorfilme wie „Kill List“ und „A Field in England“ gewonnen. Die Freude über ein neu angekündigtes Low-Budget-Horrorprojekt war demnach groß, nachdem sich der Filmemacher in den letzten Jahren mit Werken wie „Rebecca“ und „Free Fire“ eher außerhalb des Genrekinos bewegt hatte. Sein neuer Film „In the Earth“ ist nicht nur einer der ersten Spielfilme, der die Corona-Pandemie direkt in sein Narrativ miteingebaut hat, sondern gilt auch als eine der ersten Produktionen überhaupt, die in Großbritannien inmitten des Lockdowns aufgenommen wurden.

Während im ganzen Land ein tödlicher Virus umgeht, macht sich der junge Forscher Dr. Martin Lowery (Joel Fry) für eine Mission bereit, die in zu einer weit entfernten Teststation führen soll. Begleitet wird er hierbei von der Parkwächterin Alma (Ellora Torchia), die ihn durch die dichten Wälder navigieren soll. Als die beiden eines Nachts von einem Unbekannten attackiert werden, müssen sich Martin und Alma ohne Equipment, Proviant und Schuhen weiter durch die Wildnis kämpfen, bis sie Unterstützung von Zach bekommen, einem Mann, der sich scheinbar als Aussteiger in die Wälder zurückgezogen hat und dort ein einsames Leben fristet. Zu spät bemerken sie, dass der harmlos wirkende Zach dabei sinistre Gedanken im Hinterkopf hat.

Verbunden durch eine ähnliche Grundthematik, könnte man meinen, dass sich „In the Earth“ gemeinsam mit „Kill List“ und „A Field in England“ zu einer Art Folkhorror-Trilogie zusammenfügen ließen, die sich alle in der ein oder anderen Weise Motiven wie Okkultismus, Magie und Spiritualität widmen. Wheatley bedient sich in seinen Filmen nur allzu gern dem Stilmittel, die narrative Ebene des Films als gemäßigt oder gar zurückhaltend vorzustellen, nur um dieses Bild im letzten Drittel völlig zu verwerfen und das Publikum mit einer völligen Kehrtwende zu überraschen. Auch die Handlung von „In the Earth“ nimmt ab einem gewissen Zeitpunkt einen sehr unerwarteten Verlauf und kumuliert schlussendlich in einen psychedelischen, atmosphärischen Horrortrip.

Angesichts der Umstände, dass der Film während eines landesweiten Lockdowns innerhalb von gerade einmal zwei Wochen gedreht wurde, ist es dem Produktions- und Schauspielteam außerordentlich gut gelungen einen einzigartigen Horrorfilm zu schaffen, der vor allem von seiner Originalität und stylishen Kinematographie lebt.

Beim Sound- und Bilddesign schöpft der Film aus allen Vollen. Die schrille, beinahe schmerzhaft dröhnende Geräuschkulisse (der Soundtrack ist von Darren Aronofskys Stammkomponisten Clint Mansell) wird von einer langen Sequenz von Stroboskoplichtern begleitet, die sich gegen Ende des Films tief in die Pupillen des Publikums gebrannt haben und Gefühle der Konfusion und des Chaos der Protagonisten adäquat unterstreichen. Auch die vagen, farbenprächtigen Bildcollagen aus Natur- und Folkloremotiven, die ebenso gut einem Indie-Musikvideo entsprungen sein könnten, fügen sich gut in den Kontext des Films, fühlen sich aber schnell ein wenig anstrengend und repetitiv an.

„In the Earth“ ist zwar keineswegs ein Film, der für jedes Publikum geeignet ist, sondern viel mehr ein Erlebnis, auf das man sich vollends einlassen muss, um es genießen zu können, birgt jedoch großes Potenzial ein echter Genreklassiker werden zu können. Man fühlt, dass es Low-Budget-Produktionen dieser Art sind, bei denen sich Regisseur Ben Wheatley am meisten zu Hause fühlt, und dass es ihm hier am besten gelingt seine kreative Freiheit auszuleben.

„In the Earth“ ist Ben Wheatleys sehr gelungene Rückkehr zu seinen (Horror-)Wurzeln und demonstriert gleichzeitig beispiellos, dass selbst die aktuelle Krise Kreativität und Innovation keinen Einhalt gebieten können.
 
 

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