Annette

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Forumseintrag zu „Annette“ von MrsBlonde


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MrsBlonde (21.10.2021 18:47) Bewertung
So May We Start?
Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
Es scheint ein triumphales Jahr für die Art-Pop-Band „Sparks“ zu sein, die mit „The Sparks Brothers“ nicht nur eine Doku unter der Regie von Edgar Wright gewidmet bekam, sondern auch – nach mehreren gescheiterten Projekten, unter anderem mit Jacques Tati und Tim Burton – endlich ihren ersten Film (Soundtrack & Drehbuch) verwirklichen konnten. Und was für einen! „Annette“, unter der Regie von Leos Carax, vereint nicht nur Schauspielgrößen wie Adam Driver und Marion Cotillard miteinander, sondern wartet auch mit äußerst kreativen Ideen und einem bombastischen Soundtrack auf.

Henry McHenry (Adam Driver) ist ein erfolgreicher Stand-Up-Comedian, Ann Desfranoux (Marion Cotillard) gefeierter Opernstar. Seine Show, „The Ape of God“, lebt von der Provokation, ihre Gesangsauftritte enden allabendlich unter tosendem Applaus im fiktiven Tod. Er ist privat von impulsiver Natur, sie eher zurückhaltend.
Als sich zwischen dem ungleichen Duo eine Romanze entwickelt, stürzen sich die Medien sogleich auf das Privatleben des neuen Liebespaares. Bald folgt auch schon die Verlobung, später die Hochzeit, dann eine Schwangerschaft. Das Glück von Henry und Ann könnte nicht größer sein und erreicht ihren Höhepunkt, als die gemeinsame Tochter geboren wird: Annette. Doch schon bald ziehen erste graue Wolken über der jungen Familie auf.

„May we start?“ fragt Regisseur Leos Carax zu Beginn des Films. Er befindet sich in einem Tonstudio, die Band „Sparks“ mitsamt Backgroundsängerinnen stimmen die Eröffnungsnummer („So May We Start?“) an. Später kommen die Darsteller*innen Marion Cotillard, Adam Driver und Simon Helberg hinzu. Gemeinsam stolzieren sie des Nachts durch die Straßen von Los Angeles, singend und noch nicht ganz in ihren Filmrollen angekommen. Die Tochter des Regisseurs ist ebenfalls mit dabei, was schon auf die zentrale Bedeutung der „Tochter“ im Film hinweist („Annette“ ist ihr außerdem auch gewidmet).

Diese grandiose, selbstreflexive Eröffnung macht jedenfalls schon mal Lust auf das, was noch folgen soll: eine unglückliche Romanze, welche sich zu einem emotionalen Familiendrama entwickelt, verpackt als schrille Pop-Oper. Begleitet wird das Ganze von eingängigen Songs - die ursprünglich eigentlich für ein neues Sparks-Album komponiert wurden - wo vom Schmacht-Ohrwurm „We Love Each Other So Much“ bis hin zur ausdrucksstarken Arie („The Forest“) alles mit dabei ist. Der Großteil davon wurde auch von den Darsteller*innen selbst gesungen, lediglich die Opernstimme von Marion Cotillard wurde von der Sopranistin Catherine Trottmann beigesteuert. Besonders ist auch, dass der Gesang dazwischen zwar von ein paar gesprochenen Dialogen unterbrochen wird, der Großteil der Handlung erfolgt aber singend – und erinnert somit ein wenig an Jacques Demys „Die Regenschirme von Cherbourg“.

Die Inszenierung erscheint insgesamt ziemlich überzeichnet, was aber gut in das Konzept des extravaganten Musicals passt. Visuell äußerst ansprechend, sind in den Set Designs und Kostüme wahre Highlights zu finden. Besonders ist außerdem der Einsatz einer Puppe, auf die für die Figur der „Annette“ zurückgegriffen wurde: einem singenden Kleinkind steht damit nichts mehr im Wege. Und während Annette dadurch zwar betont künstlich aussieht, geht gleichzeitig auch ein besonderer Charme von der Figur aus.

So surreal all das auch erscheinen mag, liegt hinter der aufgebauschten Fassade ebenso ein realistischer Kern versteckt. Liebe, Erfolg, Neid: Themen, die sich ganz vorzüglich sowohl für komödiantische als auch dramatische Momente eignen. Diese werden hier wahnsinnig kreativ eingebettet und unterhalten dadurch ungemein. Nicht zuletzt auch dank der hervorragenden Darsteller*innen Adam Driver, Marion Cotillard und Simon Helberg. Wer die Filme von Leos Carax kennt, weiß, dass man auch bei seinem neuesten Werk mit etwas Ungewöhnlichem rechnen kann. In Kombination mit der Musik von „Sparks“ und dem außergewöhnlichen Ensemble wird „Annette“ zu einem glorreichen Filmfest für Augen und Ohren.

Der einzige Kritikpunkt: Manchmal sind die Übergänge zwischen den einzelnen Szenen nicht ganz so gelungen und die Dialoge wirken oft ziemlich gekünstelt (was vermutlich aber auch beabsichtigtes Mittel ist). Nichtsdestotrotz handelt es sich bei „Annette“ um ein fulminantes Pop-Musical, das man gesehen haben muss!
 
 

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