V wie Vendetta

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Forumseintrag zu „V wie Vendetta“ von yossarian


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yossarian (03.07.2006 12:20) Bewertung
hervorragende adaption
Dunkelheit, in der sich die ganze Einsamkeit des Individuums in dieser das Individuum angeblich so verehrenden Zeit kristallisiert, aus dem Dunkel eine suggestive Stimme: „Remember, remember... the fifth of november, the gunpowder treason and plot. I see no reason why gunpowder, treason should ever be forgot...“. So beginnt die wohl bislang einzige wirklich uneigeschränkt gelungene Verfilmung einer Graphic Novel von Alan Moore. Als „V for Vendetta“ 1982 bis 1988 im britischen Magazin „Warrior“ in Fortsetzungen und klarem Schwarzweiß veröffentlicht wurde, steckte die Welt in den letzten Zuckungen des Cold War, wurde von lächelnden Marionetten wie Ronald Reagan und Hardliners wie Maggie Thatcher geprägt. Man baute Atomschutzbunker und glaubte fest an den Sieg des Bösen. „Warrior“ wurde eingestellt, ehe die visionäre und extrem politkritische Serie abgeschlossen werden konnte, worauf DC Comics, die Firma, bei der Moore später beschäftigt werden sollte, sich anbot, „V for Vendetta“ zu verlegen. Wie so viele hervorragende Kulturgüter blühte „V for Vendetta“ jahrelang im Verborgenen, als Liebhaberstück für Freunde anspruchsvoller Comics, die unter dem Begriff „Superhero“ noch etwas ganz anderes verstanden als knallbunte, über der enganliegenden, muskelbetonenden Kleidung getragene Unterhosen und linientreuen Dienst am Vaterland.

Seit dem ersten Erscheinen von Moores Story sind inzwischen 24 Jahre vergangen; die Welt befindet sich nach einem kurzen Aufflackern von post-Seventies-Nostalgie in den Neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts einmal mehr oder vielleicht mehr als je zuvor am Rande eines unübersichtlichen Abyssos. Sie wird regiert von lächelnden Marionetten wie Tony Blair und Hardliner-Marionetten wie George W. Bush, die nicht müde werden, vor den „Achsen des Bösen“ zu warnen, die „unsere“ Zivilisation von allen Seiten bedrohen. Die Voraussetzungen für eine polizei- bzw. militärstaatliche Gesellschaftsordnung á la „V for Vendetta“ sind zum Greifen nah gerückt, ein Großteil der saturierten westlichen Staatsbürger ist der perfekten massenmedialen Unterhaltungsmaschinerie gelähmt verfallen und betrachtet jedes Aufkeimen von Differenziertheit und Kritik als Störung der Werbepausen. James McTeigue, bislang vor allem als Assistant Director bei „Matrix“ tätig gewesen, hat seine Vorbilder, die Brüder Wachowski, mit seinem ersten Film um Längen geschlagen. Wo „Matrix“ scheiterte, weil es zuviel wollte und viel zuviel erklärte, greift McTeigue ganz gezielt an, scheut sich nicht davor, die gefährliche Nähe zur Realität zu wagen, läßt das Zuckerwerk weg und pickt sich genau jene Teile und Plots aus der Comicvorlage, die den Nerv der Zeit treffen, die fast beängstigend auspiziös unsere Gesellschaftsordnung demaskieren. Die Wahl der Darsteller ist ebenfalls symbolisch: Hugo Weaving als stets maskierter „Codename V“ etwa; der Mann also, der den sinistren Agent Smith, der einen ähnlichen Befreiungskampf wie „V“, freilich aus noch dunkleren Motiven, führte, in Matrix verkörpert hatte. Oder John Hurt in der Rolle von Kanzler Adam Sutler, ja: genau dieser John Hurt, der in „1984“ noch den Winston Smith gab, gleichsam endgültig umerzogen, seiner Illusionen beraubt, psychisch versehrt und zum Führer aufgestiegen: Room 101 hat´s gebracht!

Als der ehemalige Soldat und englische Katholik Guy Fawkes am 5. November 1605 ein verzweifeltes Sprengstoffattentat auf König Jakob I unternahm, hatte er den Sturz eines absolutistisch denkenden Tyrannen im Sinn gehabt, der sich stets geweigert hatte, das ihm zur Seite gestellte Parlament zu akzeptieren und seine Entscheidungen ohne es zu treffen pflegte. Der „Gunpowder Plot“ scheiterte aufgrund des Verrats eines Mitverschwörers und alle Beteiligten wurden grausam hingerichtet.
Für Alan Moore schien die Maske des Guy Fawkes gerade richtig, um die im 20. Jahrhundert immer noch absolutistisch handelnden Machthaber anzugreifen, ihnen symbolisch eine britische Polizeidiktatur nach Orwell´schem Vorbild zu unterstellen und eine anarchistische Revolution zu erflehen.
McTeigue hat den Stoff für seinen ersten Kinofilm klug gewählt: „V for Vendetta“ lässt sich hemmungslos an die Gegenwart anpassen: Ob Vogelgrippe, Islamfeindlichkeit, neokonservativer Schwulenhass oder Foltergefängnisse: Es ist nicht schwer, darin Ähnlichkeiten zur Propaganda der britischen Führung in „V for Vendetta“ zu finden. Und es ist gleichermaßen leicht zu erkennen, dass weit und breit kein „V“ in Sicht ist, der bereit wäre, das System zu stürzen. Denn die Monster, die unser System hervorruft, wenden sich selten gegen ihre Schöpfer; meist werden sie deren erbittertste Verteidiger.
Das kann nur durch Aufklärung gemildert werden. Also, werte Lehrerinnen und Lehrer: Nehmen Sie Ihre Oberstufenklassen und gehen Sie ins Kino. „V for Vendetta“ ersetzt ein halbes Semester „Politische Bildung“.
 
 

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