Bloody Nose, Empty Pockets

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Forumseintrag zu „Bloody Nose, Empty Pockets“ von Stadtneurotikerin

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Stadtneurotikerin (20.03.2020 12:47) Bewertung
Ein Mann geht in eine Bar...
Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2020
Die Brüder Bill Ross IV und Turner Ross sind mittlerweile für den Dokumentarfilm das, was die Coen-Brüder oder die Safdie-Brüder für den Spielfilm sind. „Bloody Nose, Empty Pockets“ ist der bereits sechste Dokumentarfilm der beiden und hoffentlich nicht der letzte.

Der Film zeigt den letzten Tag und die letzte Nacht einer Bar in Las Vegas vor ihrer Schließung. Stammgäste, die wohl seit der Eröffnung nicht mehr nüchtern waren, verabschieden sich feuchtfröhlich von der Bar und voneinander. Während zu später Stunde der Blick durch Alkohol und Sentimentalität getrübt ist, hält die Nacht dennoch eine klare Erkenntnis bereit.

Es handelt sich bei diesem Projekt, um eine dieser Pseudo-Dokumentationen, die nichts Echtes erzählen, aber etwas, das echt sein könnte. Bars wie die „Roaring 20s“ gibt es in den USA und weltweit im Überfluss. Sie sind Institutionen, in denen trinkfeste Fremde zusammenkommen, um einen Abend zu verbringen. Manche verbringen dort auch ihr Leben. Eine Bar wäre nichts, ohne genau diese Stammkunden. Die Ross-Brüder casteten ihre Figuren und haben eine glaubwürdige Gruppe an Gästen zusammenbekommen. Die Persönlichkeiten sind schräg, kaputt und voller Weisheiten, wie man sie nur am Boden eines Weinglases findet. Man gab ihnen wohl auch genug Alkohol während dem Dreh, denn das Resultat könnte kaum authentischer sein. Die Dynamiken, die an diesem Abend entstehen, und die Schicksale, die geschrieben werden, unterliegen einer universellen Gültigkeit. Diese Fremden werden zu Freunden für eine Nacht – genauso wie es täglich in solchen Bars passiert.

Der Film wirft zunächst ein positives Licht auf Bars. Sie sind der Ort, an dem man vor dem Tag flüchten kann. Sie sind ein Zuhause für Leute, die nicht nachhause gehen wollen. Sentimental bedanken sich die Gäste für all die Momente und letztendlich Jahre, die sie miteinander teilen durften. Man liegt sich in den Armen, tanzt und singt. Es wird einem richtig warm ums Herz und man will mit den Herrschaften selbst einen hinter die Binde kippen.

Allerdings wird die Stimmung, je später es wird, ungemütlicher. Irgendwann ist man nicht mehr angetrunken, sondern schlichtweg besoffen. Liebesgeständnisse müssen Raufereien weichen und der Zeitpunkt, an dem man sich selbst belügt, ist irgendwann vorbei. „Es gibt nichts langweiligeres als einen Typen, der mal Dinge gemacht hat und damit aufgehört hat, weil er in eine Bar gegangen ist“, sagt einer der älteren Stammgäste zum jüngsten der Gruppe. Spätestens da wird klar, man kann keinen Film über eine Bar machen und sich die traurigen Schicksale der Gäste schöntrinken. Die Bar mag wie ein Zufluchtsort scheinen, doch sie ist auch Ort der Selbstzerstörung. Sie ist ein Ort, der Fremde zusammenbringt, aber auch Ort der Selbstentfremdung. Trotz der schönen Stunden, in der die Protagonisten ihre Sentimentalität mit uns teilen, ist „Bloody Nose, Empty Pockets“ – wie der Titel schon verrät - am Ende eine traurige Reflexion über die Flucht vor dem Leben, Alkoholismus und die Leere im Leben, die letztendlich auch die Lieblingskneipe nicht füllen kann.

Ein wahnsinnig toller Film, der uns in eine Bar einlädt, uns ein paar Drinks zu viel spendiert und uns ein paar Weisheiten mit auf den Heimweg gibt.
 
 

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