Putin's Witnesses

Bewertung durch susn  95% 
Durchschnittliche Bewertung 95%
Anzahl der Bewertungen 1

Forumseintrag zu „Putin's Witnesses“ von susn

susn_15a35adfde.jpg
susn (27.11.2019 18:53) Bewertung
Einzigartiger Blick in das frühe Regime Putins
Exklusiv für Uncut vom Crossing Europe Film Festival
Der russische Filmemmacher Vitaly Mansky hat mit „Putin’s Witnesses“ eine intensive Doku geschaffen, in der er die ersten Schritte Vladimir Putins zu seiner tyrannischen Herrschaft über Russland nachzeichnet. Die Aufnahmen stammen aus den Anfängen Putins und Manskys eigenem Archiv. Der nun im Exil in Lettland lebende Filmemacher hatte die einzigartige Möglichkeit, den Präsidenten in einem persönlichen Projekt aus nächster Nähe zu filmen, bevor dieser immer mehr den Mantel des Schweigens um sich hüllte. Herausgekommen ist retrospektiv nicht nur eine bittere Abrechnung mit dem Mann selber, sondern auch mit der eigenen Rolle im „Mythos Putin“.

„Putin’s Witnesses“ ist eine Art Entschuldigung des Regisseurs. Dieser wurde in den frühen Regierungstagen Putins vom russischen Staatsfernsehen damit beauftrage, mehrere schmeichelnde Porträts wichtiger Politiker zu drehen. Damit gelang ihm ein Zugang zu dem Präsidenten, der aus heutiger Sicht undenkbar wäre. Die verschwiegene „Auserwählten“-Aura, die Putin so pflegt, steckte hier noch in den Kinderschuhen. Untermalt wird das Material immer wieder von informativen Home Video Aufnahmen seiner Familie, in denen seine Frau Natalie vor einem neuen sowjet-artigen autoritären Stil warnt. „Unsere Utopie ist weg“, warnt sie, „die Welt ist erschüttert, sie wird nun vor uns Angst haben.“

Mansky kommeniert bitter aus dem Off, unterstreicht seine Rolle in dieser Kampagne, wie etwa dass kamerataugliche Wiedersehen Putins mit einer alten Lehrerin, dem er trotz den medientauglichen Vorzeichen mit einem etwas aschfahlen Gesicht begegnet. Das Voice Over is hart, kritisch und emotionalisiert. Aber es dient nicht einer allgemeinen Wahrhaftigkeit sondern ist ein Zeugnis und Geständnis Manskys, der den Film bereits mit den Worten einleitet „Das ist der Preis den ich dafür zahlen musste weil ich naiverweise annahm, nur ein Zeuge zu sein.“ Die vielen Jahre nach seinem Auftrag vergingen im Gedanken daran, inwiefern er mitschuldig an der toxischen Macht des Präsidenten war.

Damit ist nicht gesagt, dass der Film nicht auch für sich selbst spricht. In einem fast gruselig anmutenden Herzstück zeigt Mansky Aufnahmen von Putins Wahlkampfteam und entfaltet dann Person um Person ihre späteren Biographien. Außer Dmitrij Medwedew sind alle entweder in die Opposition gegangen, abgesetzt, ins Exil gegangen oder unter mysteriösen Umständen umgekommen. Besonderes Augenmerk gilt auch dem ehemaligen Präsidenten Jelzin, einem Fan der ersten Stunde der mit dem Lauf der Zeit seine Begeisterung für Putin verliert. Als Putin die alte sowjetische Hymne mit neuem Text reinstalliert, reagiert Jelzin mit einem angewiderten „Es ist rötlich“ im Kreise seiner Familie.

Der aufschlussreichste Moment der Dokumentation kommt jedoch, als Putin Mansky eines Tages in sein Büro beordert um eine Meinungsverschiedenheit zu diskutieren. Warum sollte man die Vergangenheit nur mit den schlimmsten Aspekten der Sowjetunion assoziieren fragt er in Reaktion auf die Kritik der alten neuen Hymne. Später fügt er kühl hinzu, dass „Entscheidungen im Interesse des Staates getroffen werden sollten, egal ob sie eine positive oder negative Reaktion hervorrufen“.

Die schiere Einzigartigkeit des historischen Materials, die den einen oder anderen tragischen Moment voraussagt wird sowohl für Zuschauer als auch Historiker lange von Faszination sein. Das System Putin würde heutzutage solch teilwiese intime Einblicke nie wieder zulassen.
 
 

zum gesamten Filmforum von „Putin's Witnesses“
zurück zur Userseite von susn