The Debt - La Deuda

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Forumseintrag zu „The Debt - La Deuda“ von Reinderl

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Reinderl (01.11.2019 21:53) Bewertung
Sozialer Kontakt wächst nicht auf Bäumen
Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
Der argentinische Regisseur Gustavo Fontán hat einen Film gemacht, der sich zwischen Dokumentarischem und Fiktion bewegt. In einer ruhigen und präzisen Bildsprache, die oft das Gesicht der Protagonistin in Großaufnahme zeigt, erzählt er den Zustand einer Frau, die eine ganze Nacht lang hektisch dem Geld nachläuft, das sie ausgegeben hat, obwohl sie es nicht hatte. Er hält gleichzeitig einer kapitalistischen Gesellschaft, die nach neoliberalen Prinzipien alle Solidarität ausschaltet, das Individuum von den anderen trennt und vereinzelt, und Finanzen und sozialen Status über alles andere stellt, den Spiegel vor.

Es beginnt mit Monica (Belén Blanco), einer schlanken gutaussenden Frau in mittleren Jahren, die vor dem Haus, in dem sie arbeitet, eine Zigarette raucht. In ihrer Arbeit hat sie mit Geld zu tun, das sie für Kunden auf die Bank bringt. Das hat sie aber nicht getan, sondern es abgezweigt. Als das aufzufliegen droht, muss sie bis zum nächsten Morgen die 15.000 Pesos, die sie veruntreut hat, zurückgeben.

Was macht sie also als erstes? Sie geht in ein Modegeschäft und kauft sich ein Kleid. Bezahlt mit Kreditkarte. Dazu noch ein Geschenk für die Schwester Laura (Andrea Garrote), die Geburtstag feiert, bei der sie dann zu Hause auftauchen wird und sie um Geld bitten. Weil das Außen wichtig ist, die Fassade keine Risse bekommen darf. Monica achtet darauf. So dauert es auch in allen Interaktionen, die Monica mit der Umgebung eingeht, einige Zeit, bis den anderen überhaupt klar wird, dass etwas nicht in Ordnung ist. Immer wieder drückt der Regisseur Monicas Nervosität aus, indem er sie rauchen lässt, auch wenn ihr Gesicht dabei ausdruckslos bleibt.

Fontán zeigt nicht nur eine Frau in einer Ausnahmesituation, die aber doch auch wieder alltäglich ist, sondern auch Seiten eines nächtlichen Buenos Aires, das in anderen Filmen ausgeklammert wird. Peripherie, Blaulicht, Betrunkene, die herumtorkeln, Wohnblöcke. Wie im ebenfalls auf der Viennale gezeigten Film „Ghost Tropic“ von Regisseur Bas Devos folgen wir auch hier einer Frau durch die Außenbezirke einer nächtlichen Stadt. Nur macht in Bas Davos’ Film die Hauptdarstellerin durch ihre Interaktionen die Nacht auf und ein Begegnen möglich – ob das nun einen Wunschtraum darstellt, sei dahingestellt – bei Fontán bleiben die Figuren noch in der Interaktion mit sich alleine.

Gustavo Fontán wollte seinen Film ursprünglich „Die Wüste“ nennen, das poetische Konzept hinter der Geschichte. Eine Wüste, in der sich eine Frau auf den Weg macht, um ihre Schulden zu begleichen, aber in der ihre Reise im Kreis führen muss. Ab dem Zeitpunkt, an dem Monica das Kleid mit Kreditkarte bezahlt hat, wissen wir das. Sie hat Schulden, die sie nicht bezahlen wird können, die immer weiter ansteigen werden. Eine Metapher auch für Argentinien und den entfesselten Neoliberalismus unter dem amtierenden Präsidenten Macri.

Woher die Frau ihre Schulden hat, ob es überhaupt einen Grund dafür gibt, bleibt offen. Sie bleibt alleine mit ihrer Aufgabe, obwohl sie Hilfe von außen bekommt, durstig trotzdem, vielleicht nach zwischenmenschlichem Kontakt, der über diese Hilfe hinausgeht, der aber gleichzeitig nicht kommen kann, in einer Welt, in der Geld dem Zwischenmenschlichen übergeordnet ist und sie ihre Hilflosigkeit nicht eingestehen kann. Auch wenn sie das Geld jetzt zusammenbringt, werden die Suche und das Streben nach mehr nicht aufhören. Das Materielle wird die innere Einsamkeit nicht ausgleichen. Sie kann nicht mehr stillstehen, innehalten und sich umschauen. Jede Pause punktiert durch eine Zigarette.

Der Sprung zwischen Dokumentarischem und Fiktion gelingt in diesem Film leider nicht immer. Großartig zwar die Szene mit der Schwester, als sie das Telefonat mit ihrer Freundin wiedergibt, die so an den Hunden im Erdgeschoß leidet, dass sie die Schwester anruft und von ihr die Erlaubnis erbitten, die Hunde mit vergiftetem Fleisch zu füttern, und wie Monica sie mitten im Satz mit einer Banalität über ihr Aussehen abschneidet. Aber solche Momente sind im Film dünn gesät. Die Begegnungen mit den Männern in der Geschichte bleiben nichtssagend und schal. Keiner der Protagonisten gewinnt wirklich an Profil.

Vielleicht will der Film zu viel und zu allgemein sein, um wirklich lebendig zu werden und den Zuseher die Verzweiflung seiner Protagonisten auch spüren zu lassen. Bélen Blanco, die die Rolle als verletzliche Frau, die nach außen nur Härte zeigt, großartig spielt, bleibt einem trotzdem auf gewisse Weise fremd. Sie sagte vor der Projektion bei der Viennale, dass sie den Film als einen Akt des Überlebens ansieht, den die Filmcrew gemeinsam unternommen hat.

Vielleicht ist es die Quasi-Sediertheit in diesem Überlebensakt, das Schockgefühl nach einem traumatischen Erlebnis, in dem alles in Watte gepackt ist, dass es dem Zusehenden schwer macht, sich dem Film ganz zu überlassen. Ob die Endszene im Zug ohne die dem Film vorangegangene Erklärung so ohne weiteres nachvollziehbar gewesen wäre, ist fraglich.
 
 

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