Knives and Skin

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Forumseintrag zu „Knives and Skin“ von susn

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susn (27.10.2019 17:29) Bewertung
Coming of Age aus weiblicher Sicht
Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
In ihrem ersten experimentellen Feature Film „Knives and Skin“ lässt US-Regisseurin Jennifer Reeder das Verschwinden eines High School Mädchens zum Auslöser für die Reflexion über das eigene Leben und das Verhältnis zu anderen für ihre Mitschüler werden. Der gewollt inszenierte starre Stil der Darsteller und teils klobige Montage bedürfen einer gewissen Eingewöhnungszeit, formieren sich aber letztendlich zu einem stimmigen Ganzen.

„Girls just wanna have fun“. Diese Lyrics von Cindy Lauper ziehen sich immer wieder durch die Handlung wann immer seine Protagonistinnen an einen Scheidepunkt in ihrem Leben stoßen. Vor ein paar Tagen ist ihre Mitschülerin Carolyn Harper (Raven Whitley) verschwunden, ein unscheinbares Mädchen, das in der Marching Band ihrer Schule aktiv war. Mit der leidenden Mutter Lisa (Marika Engelhardt), die den Schulchor unterrichtet, stets vor ihren Augen, beginnen sich Joanna (Grace Smith), Laurel (Kayla Carter) und Charlotte (Ireon Roach) genauer mit ihrem eigenen Leben und der Lücke, die Carolyn hinterlassen hat, auseinanderzusetzen.

Joanna kommt aus einer zerrüttenden Familie mit einer depressiven Mutter (Audrey Francis), und meint sollte sie verschwinden würde das niemand für zehn Tage mitbekommen. Charlotte, die mit Carolyn in einer Band war und mit ihren Freundinnen für ihren extravaganten Stil bekannt ist, fühlt sich zu einem Footballspieler (Jalen Gilbert) hingezogen. Und das, obwohl er so ziemlich all das repräsentiert was er ablehnt. Laurel, eine Schönheitskönigin an der High School, entdeckt hingegen, dass sie andere Wünsche und Neigungen hat als ihre soziale Position es verlangen würden. Doch eines haben sie alle gemeinsam: Sie wollen eines Tages einfach aus diesem gottverlassenen Ort raus.

Reeder widmet sich in ihrem Werk erneut dem Leben junger Frauen an der Schwelle zum Erwachsensein und wirft einen durchaus weiblichen Blick auf die Entwicklung und Verwirrungen, die in diesem Abschnitt entstehen. Da wird freizügig mit dem patriarchalen Schimpfworte „Schlampe“ um einen geworfen, wenn das Gefühl entsteht die anderen seien einem sexuell voraus, darüber schwadroniert, dass ein Penis wie E.T. aussähe, und ob man der eigenen Familie wirklich wichtig genug ist. Reeder lässt die Figuren in einer verfremdeten formlosen Tonalität sprechen, deren unangenehme Wirkung zunächst durch die wackelige Kamera und die teils spontanen Schnitte noch verstärkt werden.

Dem entgegen steht die visuell stark inszenierte Farbpalette an Blau, Pink, Rot und Grüntönen, die sich wie ein Fächer aus Filtern über die Bilder legt und ihnen eine surreale Aura verleihen. Reeder spielt mit dem Look, entzieht ihm seinem natürlichen Umfeld und stilisiert ihn so zu einem pointierten Seelentrip seiner Figuren. Die steifen Dialoge fügen sich so harmonisch in das eigenweltliche Geschehen und brechen die Figuren so auf ihre Essenz herunter. Reeder geht es nicht um High School Melodrama im Indie-Gewand. Ihre eigenwillige Zugangsweise bringt den Zuschauer näher an die Figuren, lässt eigene Parallelen entwickeln und persönliche Wahrheiten entdecken.

Die Suche nach dem eigenen Sinn, der eigenen Bedeutung in dem Ganzen ist ein populäres Coming of Age Thema und findet sich in der Filmgeschichte wie Sand an Meer. Es ist daher erfrischend einen so unkonventionellen unaufgeregten Zugang zu erleben. Sie wollten ja eigentlich gar nicht Schlampe zueinander sagen, geben die Mädchen schlussendlich zu. Letztendlich sind sie doch nur alle auf der Suche nach sich selbst. Und irgendwo, in all den Herausforderungen, gibt es auch Hoffnung.
 
 

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