Die Blumen des Bösen
Sommer, Sonne, Sonnenschein. Welch ein Graus. Viel zu heiß, viel zu trocken, viel zu viele Leute unterwegs, die alle den Drang verspüren, hinaus zu müssen. Diese strahlend helle Jahreszeit, in der es nie wirklich dunkel wird und der fetzblaue Himmel langweiliger nicht sein kann, sind mir die unliebsten Monate im ganzen Jahr, das muss hier an dieser Stelle und bei keinem anderen Film endlich mal gesagt werden. Dieser Sommer wird sich bis in den September oder gar Oktober hineinhängen, es ist schlichtweg gruselig. Ganz so, wie Ari Aster es gerne hat.
Ich muss zugeben, mit dem Umstand des Gruselns ist man bei Midsommar schon ziemlich früh durch. Was danach folgt, ist ein unbequemer, beklemmender Gesamtzustand, der wie in den Werken von David Lynch nur schwer zu beschreiben ist. Aster dürfte wie nur wenige Horrorfilmer höchst sensitive Antennen dafür haben, um genau zu erkennen, was genau einen Alptraum ausmacht. Es sind nicht Monster, es ist nicht Blut, keine Gedärme oder ratternde Motorsägen. Es sind keine Gespenster und Dämonen, die aus dunklen Fluren daher gekrochen kommen. Das ist es alles nicht. Lynch hat es begriffen, Aster ebenso: Irgendetwas, nur keiner weiß was genau, ist faul an dieser erschaffenen Realität. Irgendwo gibt es eine Bedrohung, etwas unaussprechlich Grausames, es ist in diesem Film irgendwo inhärent, unsichtbar, unterschwellig. Dieser wunderbare und von fast allen geliebte schweißtreibende und dehydrierende Sommer, dieses Paradies aus Blumen, Bäumen, saftigen Wiesen und weißen Gewändern, ist lediglich die Kehrseite einer Dunkelheit, die über den Zuseher herfällt wie ein schleichender Sonnenbrand trotz Schutzfaktor 50. Diese destruktive Einstrahlung in Midsommar ist aber nicht Teil des Wetters, sondern einer isoliert lebenden Kommune, einer radikalen, sektiererischen Gemeinschaft, die archaische Bräuche hochhält und mit der fundamentalen Folklore eines Landes verstörende Methoden zur Preisung einer mythisch aufgeladenen Sonnwende rechtfertigt.
Dieser fremden, mit dem Irrsinn frohlockende Welt darf Florence Pugh beitreten, gemeinsam mit ihrem Freund Jack Reynor, der wiederum wen kennt, der wen kennt, der als Mitglied in diesem sommerhellen Reigen Leute von außerhalb, am besten Ferntouristen, ins schwedische Nirgendwo mitnimmt. Auch, um Dani, so Pughs Figur, von ihrer Trauer abzulenken, die ihre psychisch kranke Schwester in einem erweiterten Suizid verursacht hat. Wir sehen diese erschreckende Tragödie als tief verschneiten Epilog, wir sehen hier diese Dunkelheit, die wir später zu vermissen glauben, doch sie ist da, sie tarnt sich nur, und zwar so geschickt, dass sich niemand ihr entziehen kann. Und so gerät die nichtsahnenden Truppe, genauso wie wir Zuseher, völlig unbedarft und unvorbereitet in einen ausweglosen Zustand, der so seltsam, schockierend und so sehr kaum zu glauben ist, dass alle, die nicht wissen, was als nächstes kommt – und das weiß man nie – mehrmals das Gesehene durchdenken müssen, um es als wahr zu begreifen. Dabei setzt Aster seine verstörenden Schocks so perfide ein, dass sie stets in Wechselwirkung mit dem zauberhaft Schönen stehen, mit einer Welt aus bunten Blüten, fröhlichen Gesängen und gleißendem Licht. Die Sogwirkung ist exzellent, an Midsommar bleibt man hängen wie an einer Naturkatastrophe oder einem durch Menschen verursachten Unfall, an schlechten Nachrichten und plötzlichen Toden. Man kann nicht wegsehen, man fühlt sich bezirzt und man kann sich nicht wehren. Was schließlich noch schlimmer ist als jede Höllenfahrt ist das falsche Gute, das verdorbene Schöne, das wie so manch dralle, saftige Beere oder der rot glänzende Apfel in Schneewittchen andere verlockt, davon zu kosten.
Asters Midsommar geht mit dem Alptraumhaften auf eine Weise um, das kann sonst niemand. Zumindest entzieht sich mir Vergleichbares. Sein Werk hebt das Genre auf ein kunstfertiges Arthouse-Level – ähnlichen Filmen wie The Other Lamb gelingt das nicht, obwohl sie gerne hätten, es wäre so. Die Pracht in Midsommar ist betörend, das Böse irritierend, eine heile Welt niemals existent. Asters Meisterwerk hallt lange nach und ist nicht minder so komplex und andersartig wie Shining oder Mulholland Drive. Während die letzten beiden Filme aber die Dimensionen umkrempeln, holt sich Midsommar seinen Schrecken aus nur dieser einen, unseren Dimension, in der selbst nur wenige Worte, Gesten und pervertiere Konnotationen das Blut in den Adern gefrieren lassen. Für einen heißen Sommer ist das Abkühlung genug.
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