Pferde stehlen

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Forumseintrag zu „Pferde stehlen“ von susn

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susn (19.10.2019 12:28) Bewertung
Wunderschön gefilmte Erzählung über das Loslassen
Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2019
In „Pferde stehlen“ zieht sich Stellan Skarsgard nach dem Tod seiner Frau in die einsame Landschaft Norwegens zurück, aber die Vergangenheit lässt in Hans Petter Molands Drama nicht lange auf sich warten. Nach „Ein Mann von Welt“ und „Einer nach dem anderen“, die eher von trocknem Humor oder Blutlust gekennzeichnet waren und ebenfalls Skarsgard im Cast hatten, ist die neueste Kooperation des Regisseur-Darstellerduos ein packendes Drama das mehrere Generationen und Epochen umspannt.

Im Jahr 1999, kurz vor dem Millenium, zieht der ältere Trond (Stellan Skarsgard) von Schweden, wo er die letzten 40 Jahre verbracht hat, zurück aufs norwegische Land. Seine Frau ist gerade erst bei einem Autounfall verstorben und Trond sucht die Einsamkeit in seiner alten Heimat. Sein Einsiedlerdasein wird jedoch bald von seinem Nachbarn Lars (Bjorn Floberg) unterbrochen, in dem Trond eine tragende Bekanntschaft seiner Kindheit erkennt.

Von da hüpft die Handlung immer wieder zwischen 1999 und den Flashbacks zu 1948. Zu jener Zeit war Trond (Jon Ranes) noch ein 15-jähriger Junge und begeistert, den Sommer mit seinem Vater (Tobias Santelmann) in einer einsamen Hütte am Fluss zu verbringen. In guter alter Manier fällen die beiden Bäume, schwimmen im Fluss und erkunden gemeinsam die Natur. Dem gegenüber stehen die Tragödien, die im Haus der nähest gelegenen Nachbarn geschehen. Als Trond eines Tages mit seinem Freund Jon (Sjur Vatne Brean) Pferde reiten geht, merkt er wie verstört der Junge ist. Später erfährt er von seinem Vater, dass Jon am Vortag auf seine jüngeren Zwillingsbrüder hätte aufpassen sollen, wobei einer der beiden, Lars, sich das Gewehr des Vaters schnappte und seinen Bruder unwissend erschoss.

Beim Begräbnis lernt Trond Jons und Lars‘ Mutter (Danica Curcic) kennen, eine Schönheit von der er sofort fasziniert ist. Während er sich pubertären Fantasien ihrer hingibt beginnt er jedoch zu merken, dass sie und sein Vater eine außereheliche Liebesaffäre führen, die zu Zeiten des Kriegs begann, als beide im Nazi-Widerstand tätig waren. Dem ist sich auch Lars‘ Vater bewusst und während er die Beziehung zunächst stillschweigend toleriert, wird beim Baumstämme flussabwärts schiffen ein weiteres Unglück geschehen.

Ein so unschuldig wirkender Sommer wird zum Trauma auf Lebenszeit für alle Betroffenen. Dazu zählt noch nicht einmal, dass Trond derjenige war, der hinter dem Steuer saß als seine Frau Jahrzehnte später bei einem Autounfall ums Leben kam. Trond hat damit seinen Frieden gefunden, er weiß dass schlimme Dinge passieren und man sie hinter sich lassen und darüber stehen muss, und nicht vor ihnen einknicken darf. Das alles hat er von seinem Vater gelernt. Der Vater, dessen spiritueller Geist und vernichtender Nachhall stets über Trond schweben, ob in jungen oder späten Jahren. Denn der Vater wird eine Entscheidung treffen. Eine, die Trond noch 50 Jahre später verfolgt. Aber es ist auch der Vater, der ihm in jungen Jahren die Weisheit mitgibt, dass der Mensch selber entscheidet was weh tut und was nicht.

Der norwegische Schriftsteller Per Petterson, auf dessen Roman der Film basiert, hat eine bittersüße Erzählung geschaffen über die Menschen, die sich mit ihrem Innenleben und der Vergangenheit auseinandersetzen müssen und irgendwo auf einem Silberstreifen am Horizont Frieden finden müssen. Regisseur Hans Petter Moland gelingt es, dieses Innenleben um farbenfrohes bildgewaltiges Storytelling zu erweitern. Sein Film behält mit seinen Zeitsprüngen über eine Periode von über einem halben Jahrhundert die zersplitterte Erzählstruktur des Romans bei und klingt sich so fließend in die wild herumspringenden Gedanken Tronds ein.
Skarsgard gibt eine einfühlsame Darstellung als der Protagonist und Erzähler, ist in seiner Reaktion auf andere und die Dinge um ihn herum subtil und abwartend. Aber es ist nicht nur der Hauptdarsteller, der hervorsticht, auch die handwerklichen Methoden geben dem Film einen besonderen Flair. Die expressive Kameraarbeit, der Schnitt und die Musik tragen dazu bei, dass der Film in den dramatischen Momenten entsprechend anbebt und danach wieder abebbt. Kameramann Rasmus Videbaek fängt die Natur in atemberaubenden Einstellungen ein und trägt die Handlung so auch in den schwächeren Momenten. Die Musik von Kaspar Kaee unterstreicht diese einfach Momente, bevor sie sich in dramatischen Szenen zu einem nervösen Crescendo aufbäumt.

„Pferde stehlen” zeigt auf beeindruckende Weise, wie Dinge, die vor Jahrzehnten passiert sind, aus dem Nichts heraus wieder so aktuell und schmerzhaft wie eh und je sein können. Die Welt von Tronds Kindheit hat etws unbändiges, träumerhaftes, ein schmerzhafter Stich von Verletztheit und Erwachsenwerden. Es ist ein Übereinkommen, wie wir als Menschen an alten Dingen festhalten und lernen, über Vergangenes hinwegzuwachsen.
 
 

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