Notes on an Appearance

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Forumseintrag zu „Notes on an Appearance“ von deutobald

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deutobald (26.12.2018 19:51) Bewertung
Postkarten eines Verschwundenen
Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
Wenn das Festival schon ein bissl länger dauert, dann freut man sich meist insgeheim, wenn ein Film am Programm steht mit nur 60 Minuten Laufzeit und somit gerade mal noch in die Kategorie „Langfilm“ fällt. Etwas seriöser angegangen könnte man dann vermuten: junger Filmemacher, erster Langfilm (mehr ging halt nicht, finanztechnisch). Sowas kann bei weniger Talentgesegneten danebengehen und dann kommt heraus: ein zu breitgetretener Kurzfilm oder ein Langfilm dems hinten und vorne fehlt.

Nicht so bei Ricky D'Ambrose. Jung ist der New Yorker Filmemacher zwar (Jahrgang 1987) und „Notes on an Appearance“ ist tatsächlich nach einer Reihe fikiver und dokumentarischer Kurzfilme sein erster der eine ganze Stunde ausfüllt. Aber die Länge ist hier keine Notlösung sondern D'Ambroses Erzählung passen diese 60 Minuten wie ein Maßanzug.

Die Handlung ist unspektakulär: junger amerikanischer Intellektueller kehrt nach längerer Zeit in Mailand zurück um sich mit einem Kollegen einer Arbeit zum umstrittenen Politphilosophen Stephen Taubes (rechtes Lager) zu widmen. Dann verschwindet er ohne Grund, keiner im Umkreis kennt sich aus, ratlos sucht man nach ihm und als man ihn scheinbar findet, will man's nicht wahrhaben.

Der Clou bei der Sache sind die Erzählmittel: nicht ein klassisches Drehbuch mit Szene-Szene-Epilog vermittelt das Geschehene, sondern abgefilmte Zeitungsausschnitte, Postkarten, Stadtpläne, dazwischen kurze, sehr statische Episödchen aus dem Leben New Yorker Intellektueller. Wenn im Bild niemand spricht kommt ab und an eine Erzählerstimme aus dem Off zur Hilfe um all das zu verknüpfen.

Oft konzentriert sich die Kamera aufs Nebensächliche und überlässt es dem Publikum das Hauptsächliche zu ergänzen. Etwa eine Podiumsdiskussion bei der schnappschußartig nur die Vorstellung der Diskutanten, nicht aber ihre Debatte selbst gezeigt wird und konsequenterweise auch die anschließenden Fragen aus dem Auditorium, nicht aber ihre Beantwortung. Ganz wie in einem Roman verlässt sich der Autor darauf, dass der Zuseher selbst der Geschichte das Fruchtfleisch hinzufügt.
Und – horrido! - es funktioniert! Wie anregende Buchlektüre hat sichs auch angefühlt diesen Film zu sehen. Gleichsam wie durch ein Pop-up-Buch blättert man: stellenweise sind Zettelchen zwischen den Seiten versteckt, manchmal hüpft eine kleine Szene aus dem Buch heraus und beginnt sich zu bewegen.

Wer Bücher mag und keine Scheu hat vor unkonventionellem Erzählstil, wird diesen Film vermutlich sehr zu schätzen wissen. Und wenn sie sogar zu zweit im Kino waren, dann können Sie im Anschluß noch wunderbar darüber diskutieren ob das Ganze nicht eine geschickte Parabel ist, über das Verhalten heutiger Intellektueller (David, Todd und Co.) angesichts politisch radikaler Tendenzen (Stephen Taubers und seine Fangemeinde) weltweit.

Ich spar mir hier diese Debatte und stelle nur fest: der Film war eines meiner Highlights der heurigen Viennale.
 
 

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