Adam und Evelyn

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Forumseintrag zu „Adam und Evelyn“ von deutobald

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deutobald (02.11.2018 10:52) Bewertung
Flucht aus dem Paradies
Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
Adam heisst gar nicht Adam, sondern Lutz. Man nennt ihn nur so, ausserdem passt der Name weit besser zu dem seiner Lebensgefährtin Evelyn. Paradiesisch scheint ihr Leben im von seinen Eltern geerbten Landhaus nur ihm. Er arbeitet dort als bei den Kundinnen sehr begehrter Damenschneider, frönt seinem Hobby im eigenen Fotolabor (seine Kundinnen stehen ihm liebend gern Modell) und wenn nix zu tun ist, dann lässt er sich im Garten die Sonne aufs Haupt scheinen. Sie hingegen verbringt ihre Tage als unterbeschäftigte Kellnerin in einem Lokal ohne Gäste. Wie lockend klingen da die Neuigkeiten aus dem Radio, in denen von den ersten DDR-Bürgern erzählt wird, die 1989 als Ungarnurlauber über die westdeutsche Botschaft ausreisen. Ein kleiner Ausrutscher Adams mit einer Kundin ist für sie der Anlass allein mit einer Freundin und ihrem feschen Gefährten aus dem Westen an den Plattensee zu fahren. Adam, der seine Evelyn nicht verlieren will reist nach, eine Republiksflüchtige Stopperin nimmt er auch noch mit und fertig ist das Personal für ein amouröses und weltanschauliches Bäumchen-wechsel-dich. Am Ende finden sich drei der fünf als mehr oder weniger freiwillige Republiksflüchtige auf der anderen Seite des eisernen Vorhangs wieder, dort wo angeblich die Freiheit und ihre Möglichkeiten unbegrenzt sind.

Wenn man so seinen Inhalt betrachtet, dann könnte „Adam & Evelyn“ ein sehr quirliger und lauter Film sein. Man erwartet ein Durcheinander von Dialogen, Gefühlen und Schauplätzen. Aber Andreas Goldstein geht’s ganz anders an als die literarische Vorlage von Ingo Schulze nahelegt („der Roman ist eher eine Operette“, so Goldstein im Publikumsgespräch). Die Figuren reden nicht viel, nur die nötigsten Sätze werden ausgesprochen, damit halt der Zuseher den Faden nicht verliert. Manchmal grenzt die Schweigsamkeit der Figuren schon ans kunstig-nervige, aber doch bleiben die Protagonisten immer menschlich und erstarren nicht im Pappfigurenhaften. Auch hat sich Goldstein Mühe gegeben nicht die üblichen Verdächtigen für die Rollen der DDR-Bürger zu casten und spart mit Zeit- und Lokalkolorit, um nicht wie die meisten DDR-Filme in die Falle, eines übertriebenen Ausstattungsrealismus zu tappen. Und doch wirkt das Ergebnis weit wahrhaftiger als „Goodbye Lenin“ & Co. Wohl weil man dem Publikum nicht den Gefallen tut den Konflikt auf eine Dimension zu reduzieren (Ost: böse und elend, West: gut und fett, Trennung: schlecht, Wiedervereinigung: gut). Statt sich wie andere Filme entweder auf das Vorher oder Nachher des Mauerfalles zu beschränken, versucht der Film den Übergang und die Ambivalenzen der Beteiligten zu fokussieren. Der freiwillig Beteiligten ebenso wie jener, die eher zufällig anwesend sind. Den weitesten Weg aller Figuren hat Adam zu gehen und mit ihm fühlt man als Zuseher mit: er versteht nicht, warum er sein kleines Paradies verlassen soll für eine Freiheit, die ihm nicht fehlt. Nur wegen seiner geliebten Evelyn stolpert er mit seinem Wartburg Baujahr 61 in den Westen, den er „so hässlich wie die Sünde“ empfindet und wo in Hotelzimmern Bibeln herumliegen, die eine ganz andere Geschichte von Adam und Eva erzählen, als er sie selbst erlebt hat. Aber als er an seinen Heimatort zurückkehrt und sein Haus von Nachbarn verwüstet vorfindet, da zerbröselt auch ihm das Paradies und er blickt wohl oder übel in die ungewisse Zukunft im freien Westen.

„Adam und Evelyn“ ist ein wunderschön ruhiger, poetischer Film über den großen Knick in so vielen deutschen Lebensläufen, angenehm persönlich und doch ohne all zu sehr Partei zu ergreifen (dass Goldstein im Osten lebte und das gar nicht so schlimm fand, meint man jedoch zu merken). Und allein wegen der schönsten Spätsommeraufnahmen ever bereut man die Kinokarte nicht.
 
 

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