Lerchen am Faden

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Forumseintrag zu „Lerchen am Faden“ von 8martin

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8martin (16.08.2018 10:41) Bewertung
Liebe auf dem Schrottplatz
Hier hat Jiri Menzel erneut bewiesen, dass er einer der ganz großen Regisseure ist – unter den tschechischen Kollegen ohnehin der größte. Eine subtile Politsatire, die natürlich sofort verboten und erst 22 Jahre später durch den Goldenen Bären rehabilitiert wurde,
Allein schon das Ambiente vertieft die Symbolik des Films: auf einem Schrottplatz verarbeiten politische Häftlinge die metallenen Überreste der Bourgeoisie: vom Kruzifix bis zur Schreibmaschine. Lange Kamerafahrten zeigen marode Industrieanlagen. Alles ist verrostet, Schrott eben.
Um eine bunt gemischte Brigade herum entwickelt sich ein bissiges Soziogramm vom untergehenden Sozialismus. Die Insassen (Staatsanwalt oder Saxophonist) sollen umerzogen werden Banal aufgehübschte, gestellte Fotos der Aparatschiks treffen ebenso den Kern der Realität wie der Erfindungsreichtum der Menschen, die sich ihre Sympathie bekunden. (ein Taschenspiegel als Blinkzeichen im Sonnenlicht oder das Berühren der Finger über einer offenen Feuerstelle).
Zwei sonderbare Hochzeiten bilden die Brennpunkte der elliptischen Handlung: anfangs heiratet der Wärter Andel (Jaroslav Satoransky), der in seiner neuen Wohnung die Errungenschaften des Sozialismus präsentiert: elektrischer Strom, Gas und WC. Dessen Frau aber lieber auf dem Kleiderschrank schläft. Er ist das Urbild des angepassten Spießers.
Eine echte Romanze zwischen Pavel (Vaclav Neckar) und Jitka (Jitka Zelenohorska) wird durch eine Ferntrauung ‘eingesegnet‘, weil beide Insassen sind.
Dialogmäßig geht’s um den jüdischen oder den christlichen Einfluss auf das Abendland. Während die Männer am Bretterzaun durch die Ritzen spannen, wird die Frage, ob Iran oder Irak der Schurkenstaat ist, geklärt.
Bitterböse Ironie reiht sich ein neben schrullige Auswüchse einer untergegangenen Gesellschaftsordnung und das immer ganz nah an der damaligen Wirklichkeit.
 
 

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