Aladdin

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Forumseintrag zu „Aladdin“ von chrosTV


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chrosTV (22.05.2019 18:54) Bewertung
„No ‚Whole New World‘, but a surprisingly entertaining one“
Exklusiv für Uncut
Momentan scheint Großkonzern Disney Unmengen an Zeit und Geld darin zu investieren, jegliche ihrer Zeichentrickklassiker aus der 2D-Animationsära als Realfilme für die Kinos neu auferstehen zu lassen. Allein 2019 wird Disney bis Ende des Jahres ganze vier Live-Action-Remakes altbekannter Zeichentrickklassiker veröffentlicht haben. Während die Realverfilmung von „Dumbo“ bereits im März über die weltweiten Leinwände flimmerte und uns jene zu „Der König der Löwen“ und „Susi und Strolch“ noch in den nächsten Monaten bevorstehen, läuft nun diese Woche das Live-Action-Remake zum besonders beliebten „Aladdin“ aus dem Jahre 1992 in den Kinos an. Was war die Aufregung im Netz doch groß, als bekanntgegeben wurde, dass Kultfigur Genie (der Geist aus der Wunderlampe) im Remake von niemand geringerem als Will Smith verkörpert werden würde. Smith sollte nun also in die gigantischen Fußstapfen von Comedy-Legende Robin Williams treten, der in der animierten Fassung noch dem blauen Flaschengeist als englischer Originalsprecher die Stimme lieh. Die Empörung unter Fans des Originals wurde nur noch größer, als Promo-Material veröffentlicht wurde, das einen überdimensionalen blauen Will Smith in fragwürdiger CGI-Montur zeigte. Zudem bereitete die Wahl der Regie, die auf den britischen Kult-Filmemacher Guy Ritchie (u.A: „Snatch“, „Bube, Dame, König, Gras“) fiel, einigen Leuten Sorgen – hatte Ritchie doch erst vor zwei Jahren mit „King Arthur: Legend of the Sword“ einen Flop enormen Ausmaßes zu verantworten. Das Remake von „Aladdin“ stand also langzeitig unter keinem guten Stern.

Auch der fertige Film darf durchaus zu Recht an Kritik einstecken. So werden über weite Strecken hinweg einzelne Storybeats des Originalfilms nahezu ident übernommen und die visuellen Effekte sehen oft außerordentlich künstlich aus. Die Überraschung jedoch: Das Remake kann trotz aller Unzulänglichkeiten im Großen und Ganzen dennoch überraschend gut funktionieren.

Woran liegt das?

Im Gegensatz zu den bisherigen Realverfilmungen Disneys, wie unter anderem „The Jungle Book“ (2016), werden hier nicht nur vereinzelt Songs des Originalfilms verstreut und wiederverwendet, sondern tatsächlich wurde der neue „Aladdin“ vollständig als Musical gehandhabt. Dabei durchstreift der Film größtenteils natürlich ein Medley bestehend aus den populärsten Songs der 90er-Version (von „Arabian Nights“ über „Prince Ali“ bis hin zu „A Whole New World“), jedoch werden diese hier zum Teil in ein erfrischend neues Gewand gesteckt. Durch das pompöse, farbenfrohe Set- und Kostüm-Design, das besonders in den Musical-Momenten gut zu Trage kommt, und die Gestaltung der Tanzchoreographien bekommt der Film einen unerwarteten Bollywood-Charakter verliehen, der das Remake definitiv vom Zeichentrick-Original abheben lässt. Zudem wurde dem Repertoire an Songs des Original-Films auch eine neue Nummer namens „Speechless“ hinzugefügt, die von Disney-Urgestein Alan Menken (verantwortlich für jegliche Songs aus der 90er-Version) höchstpersönlich geschrieben und komponiert wurde. Zwar erinnert das Lied in seinem Aufbau ein wenig an „Let it Go“ aus dem Sensationshit „Die Eiskönigin – Völlig Unverfroren“, dient dem Film aber in einer schön aufgelösten Schlüsselszene als Song für die Emanzipation von Prinzessin Jasmine. Allgemein lässt sich sagen, dass die Veränderungen, die hier an der Figur der Jasmine vorgenommen wurden, durchaus Sinn machen und sich organisch in das Narrativ einfügen. In die Jahre gekommene Elemente des Originalfilms wurden abgeändert und dem modernen Zeitgeist angepasst, ohne jedoch dabei zu weit hergeholt oder forciert zu wirken.

Ein weiterer großer Aspekt, der das Remake trotz größtenteils bekannter Story-Elemente frisch daherkommen lässt, ist die überzeugende Darstellerriege. Newcomer Mena Massoud punktet in seiner Darstellung von Straßendieb Aladdin mit einer ausreichenden Menge an Charisma und Charme, die es benötigt, um die Figur überzeugend darstellen zu können. Auch Naomi Scott („Power Rangers“) weiß in ihrer Verkörperung von Prinzesin Jasmine völlig aufzugehen und beeindruckt in den Musical-Sequenzen mit einem kraftvollen Stimmvolumen. Massoud und Scott haben zudem genug Chemie zueinander, sodass man den beiden Protagonisten die Romanze abkaufen kann und diese nicht zu artifiziell daherkommt. Durch die funktionierende Chemie der Hauptdarsteller erfüllen altbekannte Momente wie die Rendition des Signature-Songs „A Whole New World“, der hier fast Shot-für-Shot nachgedreht wurde, nichtsdestotrotz ihren Zweck.

Nach den ganzen Kontroversen nun also die große Frage: Wie gibt sich Will Smith als Genie?

Die Antwort darauf wird viele Leute überraschen, denn tatsächlich zählt Smiths Neuinterpretation des Genies zu den größten und eigenständigsten Qualitäten der Neuauflage. Obwohl das computergenerierte Design des Flaschengeistes etwas gewöhnungsbedürftig ist, weiß Smiths Herangehensweise an die Kultfigur mit reichlich Energie und überraschend gut funktionierendem Wortwitz zu glänzen. Smith versucht erst gar nicht Robin Williams‘ Version des Genie zu imitieren, sondern schafft mit seiner schwungvollen Performance eine neue Interpretation der Figur, die auf eigenen Beinen stehen kann und vermutlich für die größten Lacher unter Kinozuschauern sorgen wird.

Die wohl größte Schwäche stellt leider ausgerechnet die Charakterisierung von Bösewicht Jafar dar. Der Ansatz, die Figur als „Poster-Boy für toxische Maskulinität“ aufzubauen, raubt dieser etwas an der benötigten Bedrohlichkeit und das obskure Overacting von Darsteller Marwan Kenzari kann dabei leider auch nicht aushelfen. Die Sprechrolle von Jafars bitterbösen Papagei Iago, der im Original noch von Gilbert Gottfried gesprochen wurde und für den Slapstick sorgen durfte, wird hier zudem massiv reduziert. Während sich die Figur im Original noch durch außerordentliche Geschwätzigkeit auszeichnete, kommt der sarkastische Vogel (neuer Sprecher: Alan Tudyk) im Remake nur selten zu Wort.

Abseits von der fehlenden Originalität, sind die schwächelnden Computereffekte beim Schauen des Films der größte Dorn im Auge. Sobald eine Szene von CGI abhängig ist, versinkt diese leider in einem unübersichtlichen Potpourri aus grässlich künstlichen CG- und Greenscreen-Effekten, die vor allem im finalen Showdown auffällig werden.

Insgesamt ist Guy Ritchies Realfilm-Neuauflage von Aladdin – obwohl dessen stilistische Kennzeichen hier kaum in der Inszenierung zu erkennen sind – jedoch weit entfernt von der erwarteten Katastrophe. Zwar bedient man sich streckenweise etwas zu ausgiebig an den exakt selben Zutaten des Originalfilms, aber die Veränderungen funktionieren, die satte Farbpalette verzaubert, die Darsteller überzeugen, der Wortwitz sitzt und die Musical-Sequenzen regen zum Mitwippen an.

Nicht viel Neues in Agrabah, dafür aber eine Menge Spaß und Laune!
 
 

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