The Cured

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Forumseintrag zu „The Cured“ von susn

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susn (09.05.2018 14:26) Bewertung
Komplexe Anatomie einer Gesellschaft Post-Zombieapokalypse
Exklusiv für Uncut vom Crossing Europe Film Festival
Wenn es darum geht sich in einer Zombieepidemie zu behaupten, glaubt man eigentlich schon alles gesehen zu haben. Die ausgestorbenen Städte, die Freundesrunde die sich langsam dezimiert, die Flucht in einen „sicheren Hafen“. Umso beeindruckender ist das Szenario, das der irische Horrorregisseur David Freyne sich für seinen ersten Spielfilm ausgesucht hat: Hier sind die typischen Zombieelemente ein Ding der Vergangenheit, für das „Maze-Virus“, die Quelle allen Übels, konnte ein Heilmittel gefunden werden. Bis auf ein paar wenige Resistente konnten alle Befallenen geheilt werden, nun geht es darum sie wieder in die irische Gesellschaft zu integrieren. Nur, zwei Störfaktoren gibt es. Einerseits erinnern sich die Geheilten an alles was sie als Zombies getan haben und leiden unter den Folgen. Zum anderen erinnert sich auch die nichtbefallene Bevölkerung und hat kein Interesse daran, „The Cured“, die Geheilten wieder in die Gesellschaft zu integrieren.

Der Film setzt somit dort an, wo andere Zombiefilme normalerweise aufhören und erzählt, welchen Problemen die Menschheit sich nach der Zombieapokalypse stellen müsste. Da ist einerseits Senan (Sam Keeley), ein Geheilter, der bei seiner Schwägerin Abbie (Ellen Page, auch als Produzentin tätig) einzieht, und versucht seinem Leben wieder einen Sinn zu geben. Doch das ist nicht so einfach. Einerseits, weil er Abbie verschweigen muss wer wirklich am Tod ihres Mannes schuld war. Zum anderen, weil er aus nächster Nähe mitbekommen muss, wie brutal der Staat mit den Unheilbaren umspringt. Abbie, die einen jungen Sohn hat, versucht diesem zuliebe wieder einen normalen Alltag herzustellen, während sie von ihren Nachbarn angefeindet wird, einen Geheilten aufgenommen zu haben. Und zu guter Letzt ist da noch Senans Freund und ebenfalls ehemaliger Infizierter Connor (Tom Vaughan-Lawlor), der früher ein Staranwalt war und jetzt in einem Auffanglager lebt und als Straßenkehrer arbeiten muss. Ungleich Senan wollen er und einige Gleichgesinnte die Behandlung als Bürger zweiter Klasse aber nicht hinnehmen und beginnen sich gegen die neue Ordnung zu erheben.

Dass die Handlung in Freynes Heimat Irland spielt, ein Land, dass laut Einblendung zu Beginn am schwersten vom Virus getroffen wurde, kommt nicht von ungefähr und verschmilzt mit der Geschichte des Landes indem es immer wieder Geister der Vergangenheit zum Leben erweckt. Einerseits lässt es sich im aktuellen Kontext auf die Flüchtlingskrise beziehen und auf die Art wie die westliche Gesellschaft diesen fremden Menschen mit Vorbehalt und Ablehnung entgegentritt. „Wir können niemanden mehr aufnehmen, es reicht“ ruft eine Fernsehkommentatorin ob der Reintegration der Geheilten und diese Worte klingen nur allzu bekannt. Andererseits nährt sich die Darstellung des Misstrauens aus Irlands eigenem Konflikt, den Riss des Lands in zwei Teile und der Wunde, die der Nordirlandkonflikt nach sich gezogen hat. Wenn Connors radikalisierte Truppe mit Molotov Cocktails um die Häuser zieht, dann hat das ganze etwas von den blutigen Kämpfen der IRA und der UDA (Ulster Defence Association). Aber nicht nur die jüngere Geschichte des Landes spiegelt sich in dieser Selbstzerfleischung der Gesellschaft. Dass ein Großteil der Bevölkerung dahinsiecht gab es schon zu Zeiten des großen Hungers im 19. Jahrhundert, ein Massensterben- und auswandern, von dem sich die Bevölkerungsanzahl bis heute nicht erholt hat.

Stilistisch verzichtet der Film mehrheitlich auf die klassischen blutigen Schockerelemente und Scare Jumps. Wenn blutrünstige Szenen gezeigt werden, dienen sie eher um das Trauma der Geheilten zu unterstreichen oder um langsam weitere Handlungselemente einzuführen. Es sind die existenziellen Ängste der Figuren, die Unsicherheit, wie man mit den „Anderen“ umgehen soll, auf die der Film sein Augenmerk wirft. Freynes Skript verbietet sich auch, eine eindeutig gute oder schlechte Seite zwischen den beiden Lagern zu zeichnen. Seelische und körperliche Narben haben alle und wie kann man einfach so einen Menschen wieder integrieren, der vor kurzem noch ein Familienmitglied umgebracht hat?

In der Tradition von Zombiefilmen als sozialkritischer Kommentar von Menschenrechten bis zu Konsum fügt sich Freynes Erstlingswerk hier nahtlos ein. Vielmehr fragt man sich, warum sonst noch niemand auf die Idee gekommen ist, sich der Thematik von dieser Seite zu nähern. Die einzigen Schwachpunkte des Films ist zum einen die etwas schablonenhaften Bösewicht Zeichnung Connors, der zu sehr entlang von Extremen wandelt um wie ein Opfer seines Egos und seiner Umstände zu wirken, und die etwas vorhersehbare Gratwanderung Senans zwischen dem guten Bürger und dem diskriminierten Rächer.

Dass es schlussendlich nochmals zu einem Ausbruch des Virus kommen muss ist klar, aber hier wäre weniger mehr gewesen. Das vielschichtige Drama gerät in seinem letzten Akt etwas zu sehr in bekannte Territorien von blutigen Straßenschlachten und hungrigen Zombies, die durch die Straßen wandeln und in düsteren Ecken lauern. Dennoch hat Freyne hier einen beeindruckenden tiefgründigen Film abgeliefert, der nicht von der Maxime „Größer, brutaler und kostspieliger“ lebt und der dem Zuschauer auch nicht so schnell mehr aus dem Kopf geht. So funktioniert Genrefilm 2018. Die Big Budget-Studios können sich hier eindeutig noch eine Scheibe abschneiden.
 
 

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