Yardie

Bewertung durch deutobald  65% 
Durchschnittliche Bewertung 65%
Anzahl der Bewertungen 1

Forumseintrag zu „Yardie“ von deutobald

deutobald_3cfc7ac6b3.jpg
deutobald (01.03.2018 17:25) Bewertung
„Bob, who?“
Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2018
Reggae ist wie Helge Schneider. Entweder man liebt ihn oder man hasst ihn. Bei Helge Schneider kann ich nicht helfen, ob man ihn mag ist wohl ein genetisches Unterscheidungsmerkmal der Menschen. Wenn man allerdings Reggae nicht leiden kann, dann hilft es durchaus sich einmal mit der Geschichte dieser Musik auseinanderzusetzen. Denn ursprünglich war diese nicht als harmlose Beschallung für Cocktailnippende All-Inclusive-Urlauber gedacht, sondern eine extrem politische Angelegenheit. Im von Bandengewalt zerrütteten Kingston Town versuchten in den 70ern etwa DJs mit ihren fahrenden Soundsystems auf öffentlichen Plätzen der geplagten Bevölkerung das Leben erträglicher zu machen.

Ganz am Anfang von „Yardie“, steht genau so eine öffentliche Party, veranstaltet von Jerry, dem älteren Bruder des kleinen „D“ (D for Dennis) dessen Geschichte der Film erzählt. Der Junge muss an diesem Abend zusehen, wie sein Bruder auf offener Bühne erschossen wird, ein Verlust den er nie verzeihen kann. Er stört das traditionelle Abschiedsritual für den Verstorbenen und wird von da an vom ruhelosen Geist seines Bruders verfolgt (der schaut im Film tatsächlich dann öfter mal ums Eck). Die Gratwanderung zwischen diesen Rachegelüsten einerseits und dem Bedürfnis nach einem Familienleben mit seiner Jugendliebe und der gemeinsamen Tochter andererseits sind der Faden an dem sich die Geschichte entlang hangelt.

Aber „Yardie“ versucht noch viel mehr als dieses persönliche Drama nachzuerzählen. Viel, viel mehr. Rings um die Geschichte reihen sich massig Darstellung von Mileus und Subkulturen, sozialer Spannungsfelder, die Geschichte von Ska, Reggae und Dubstep... Man fängt dabei an im Kingston Town der 70er und zieht zieht das durch bis in die Drogen- und Clubszene im London der 80er. Und leider überfrachtet diese Fülle an Mosaikbausteinen den eigentlich technisch einwandfrei und stimmig inszenierten Film etwas. Auch wenn man es stellenweise geschafft hat größere Zusammenhänge schon mit winzigen Szenen zu vermitteln: etwa als „D“ so mir nix dir nix ein Kilo Koks ums Bein gewickelt durch den Zoll schmuggelt und der Grenzbeamte ihn nur fragt ob er ein Freund von Bob (Marley) sei und „D“ ehrlich zurückfragt: „Bob, who?“, dann fasst das die ganze Wurscht- und Ahnungslosigkeit des Westens gegenüber der Lebenswelt ihrer Zuwanderer zusammen. Die Yuppies brauchen die Menschen der (damals tatsächlich noch so genannten) Dritten Welt gerade mal als Kokslieferanten und Partymusikanten, damit haben sie ihre Schuldigkeit erfüllt.

Es ist ein Verdienst von „Yardie“ diese Lebenswelt migrantischer Subkultur näher zu bringen. Mit den üblichen Kompromissen des Kinos (z.B. sind – as usual - die Darsteller- und innen viel zu fesch) wurde daraus ein durchaus unterhaltsamer, praller Film mit viel Musik. Aber für meinen Geschmack, dann doch etwas zu überladenen. Vielleicht wäre der Geschichte in Form einer TV-Serie besser gedient? Aber die kommt ja vielleicht noch.
 
 

zum gesamten Filmforum von „Yardie“
zurück zur Userseite von deutobald