Nanouk

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susn (03.01.2019 16:24) Bewertung
Beeindruckende arktische Welten
Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2018
Wie lebt es sich in der arktischen Kälte? Dieser Frage ist bereits Robert J. Flaherty in den 20er Jahren mit seinem Dokumentarfilm „Nanuk, der Eskimo“ nachgegangen, einem Meilenstein der Filmgeschichte. Der bulgarische Regisseur Milko Lazarov folgt in seinem zweiten Spielfilm ebenfalls einem arktischen Einwohner namens Nanouk, diesmal in den Kälten Sibiriens statt im Norden Kanadas, und dessen Ehefrau. Die einsame Kälte soll jedoch nicht dazu verleiten anzunehmen, dass hier frostige Langeweile aufkommt. Lazarov nutzt die gigantischen Dimensionen der Kinoleinwand und ein optisch umwerfendes Werk zu projezieren, in dem jeder Millimeter Widescreen genutzt wird, um die erstaunliche und einzigartige sibirische Natur zu porträtieren.

Ungleich Flaherty, der Fiktion und Realität gerne vermischte, sind die Figuren in „Nanouk“ rein fiktional. Dargestellt von den Schauspielern Mikhail Aprosimov und Feodosia Ivanova leben Nanouk und seine Frau Sedna als Rentier-Jäger in ihrer eisigen Behausung. Ihre einzige Gesellschaft ist ein Hund. Der Alltag besteht aus Eisfischen und kleinere Tierfallen aufstellen, gelegentlich muss das Zelt gegen starke Polarwinde geschützt werden. Rentiere sieht man nur selten, die Moderne hat bereits Einzug gehalten. Abends wird gemeinsam Radio gehört. Spürbar abwesend ist die Hauptfigur des Films, Aga (Galina Tikhonova), die Tochter des Paars die viele Kilometer entfernt in einer Diamantenmiene arbeitet. Für Nanouk, einen Anhänger an die alten aussterbenden Werte, ein Verrat. Sedna, die aufgrund einer mysteriösen Wunde im Sterben ist, drängt auf eine Versöhnung. Aber es ist erst als die Tragik Realität wird, dass Nanouk sie auf den langen Weg quer durch Sibirien in die Zivilisation macht.

Viele Elemente der proaktiven Handlung spielen sich erst im letzten Drittel des Films ab. Lazarov gelingt mit seinem Werk eine Übung in Geduld, da er den unendlichen Weiten der Eiswüste und den müheseligen, für westliche Verhältnisse mysteriösen täglichen Aufgaben des Paares viel Zeit und Raum gibt. In einer Welt, die frei ist von modernen Rhythmen, schafft der Film so eine Befreiung von solchen Normen, und erscheint zeitlos. Es ist irrelevant wann wo etwas stattfindet, der Alltag des Paares ist ein alter Zyklus der sich um sich selbst dreht. Die Kamera reflektiert diese Ungebundenheit in ihren langen ruhigen Einstellungen, in denen sich nichts rührt und die Welt einfach nur existiert. Und doch läuft eine unsichtbare Uhr, das Leben wie es die beiden kennen neigt sich dem Ende zu.

Die beeindruckende Rauheit Sibiriens kommt noch einmal voll zum Zug, als die Kamera in einem beeindruckenden Flug aus der Mine heraus in eine Totale des Minendorfs einfängt und der sonst so ruhige Film letztendlich in den kraftvollen Klängen von Mahlers 5. Sinfonie aus tönt. Der Film verlangt dem Zuschauer Geduld ab, die aber mit großen Emotionen und beeindruckenden Bildern belohnt wird.
 
 

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