Museo

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susn (06.03.2018 16:32) Bewertung
Flotter Museumsraub in Mexiko
Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2018
Fragt man einen Mexikaner nach 1985, wird er vermutlich als einschneidendes Erlebnis das große Erdbeben mit rund 10.000 Toten nennen. Doch es gab da noch was anderes, einen Diebstahl im Nationalmuseum für Anthropologie in Mexiko-Stadt, bei dem zahlreiche Heiligtümer der Maya, Mixteken und Zapoteken entwendet wurden und der für nationales Aufsehen sorgte. Für die Behörden war klar: Hier ist ein ausgefuchster Schmugglerring am Werk. Nur um dann feststellen zu müssen, dass es sich bei den Dieben um zwei Studienabbrecher Anfang 20 handelte. Regisseur Alonso Ruizpalacios hat diese einprägsame Episode mexikanischer Geschichte nun in einen unterhaltsamen Film irgendwo zwischen Heist Movie, Coming of Age Story, Road Trip und Philosophiestück angesiedelt.

Die ewigen Medizinstudenten Juan (Gael García Bernal) und Wilson (Leonardo Ortizgris) leben in einem Vorort von Mexiko City, Satellite City, und müssten sich eigentlich als gut situierte Mittelschicht wenig beklagen. Das reicht ihnen aber nicht, irgendwas treibt den mysteriösen Juan an und gemeinsam mit seinem Freund Wilson steigt er am Weihnachtsabend 1985 ins Nationalmuseum für Anthropologie ein um es auszurauben. Der Coup gelingt, die mexikanische Gesellschaft ist bestürzt. Der Akt sei ein Affront gegen den Nationalstolz und die mexikanische Identität. Die beiden Diebe erkennen, dass sie die heiße Ware schnell loswerden müssen. Eine Aufgabe, die plötzlich unmöglich scheint, und die sie immer wieder vor die Frage stellt: Warum haben wir die Stücke eigentlich gestohlen?

Eine klare Antwort auf die Frage gibt es nicht. Während Benjamin Wilson offensichtlich aus reiner Treue zum Freund handelt, bleibt García Bernals Figur Juan ein Mysterium. Rückblicke auf ein Land, dass seine historischen Schätze den heiligen Stätten entriss und mit viel Karacho in Museen zusammenkarrte, werfen zwar Indizien auf, diese verflüchtigen sich aber ab dem Moment, in den Juan bereit ist, die Artefakte an die ehemalige Weltkolonialmacht und „Grabräuber“ England in Form des Sammlers Frank Graves (Simon Russell Beale) zu verkaufen. Und dann ist da noch der Drang Juans, es als schwarzes Schaf seiner Familie zu zeigen und der Missmut seiner Eltern über sein verschwendetes Leben. Ruizpalacios wollte und konnte keinen Film machen der Ursachenforschung betreibt. Diese Unwissenheit, diese Suche nach einem Sinn im Leben und die Konfrontation mit sich selber ist der eigentliche Kern seiner Geschichte. „Die Familien der Täter wollten nichts mit dem Film zu tun haben. Das war ein Geschenk um eine gute Geschichte zu erzählen“, erklärt der Regisseur den narrativen roten Faden, den er für den Film gesponnen hat.

So wird der historische Raub, dessen Auflösung erst im Jahr 1989 stattfand, auf wenige Tage zusammengestutzt, die Figuren pilgern ratlos von einem Ort zum anderen, auf der Suche nach Antworten. Geschickt kontrastiert Ruizpalacios einerseits eine Steppvisite zur historischen Maya Tempelanlage Palenque, nur um Juan und Wilson als nächstes ins Touristenmoloch Acapulco zu schicken. Der Glanz der alten Mayas schlägt um in Szenen, in denen die Artefakte zum Koksschnupfen oder als Sandspielzeug für Kinder umfunktioniert werden.

Ebenso hatten Drehbuchautor Manuel Alcalá und Ruizpalacios freie Hand bei der Figurenzeichnung. García Bernal verwandelt sich gefühlvoll in einen bitteren Möchtegern-Jungspund, der verzogene Junge, der nicht erwachsen werden will. Mit teuflischer Begeisterung demonstriert er seinen Nichten und Neffen, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt und eckt wiederholt bei seinem Vater, einen respektierten Doktor, an der möchte, dass der Sohn etwas aus sich macht. Der Showdown zwischen beiden Figuren, in denen Juan seine Motivation für den Diebstahl gegenüber dem Vater nicht darlegen kann, ist auch eines der dramaturgischen Highlights des Films.

Der Film mag zwar in erster Linie eine Charakterstudie sein, bietet aber auch einen Gedankenanstoß zum Thema Museum und Ethik. Der Engländer Graves bezeichnet die Periode der Mayas wiederholt als „prehistorisch“. „Mesoamerikanisch“, korrigiert in Juan. Das Dilemma, wem ein historisches Artefakt gehört, wird anhand des Funds einer spanischen Galeone erläutert. Gehört der Fund dem Expeditionsteam oder dem Ursprungsland? Der Film kann vielleicht die Beweggründe der jungen Täter nicht erläutern, öffnet aber somit ein Fenster auf Diskurse, die vielleicht öfter geführt werden sollten.
 
 

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