Profile

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Forumseintrag zu „Profile“ von deutobald

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deutobald (18.02.2018 18:03) Bewertung
Die reale Lebensgefahr am Desktop
Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2018
Die Handlung von „Profile“ ist schnell erzählt: eine britische Journalistin gibt sich – gut geschminkt und mit Schleier – auf Facebook als junge Konvertitin aus, um auszuforschen wie die Terrororganisation IS Europäerinnen für den Kampf in Syrien rekrutiert.Dabei gerät sie bald selbst in gefährliche Verstrickung.
Aus. Punkt. „Sehr geehrter Herr Thriller-Produzent, da haben sie die Geschichte, nun frisch ans Werk!“ Und fertig ist der neueste Fließbandthriller.

Aber nicht in diesem Fall.

Timur Bekmambetov geht in der Umsetzung der Geschichte – dass es sich einmal mehr um „actual events“ handelt wird glücklicherweise erst im Abspann verraten – den denkbar konsequentesten Weg: anstatt fiktive Handlungsstränge und Figuren zu erfinden, die eine Abfilmung als klassischen Spielfilm erst möglich machen würden, zeigt er ausschließlich den Desktop des Computer der Journalistin und bleibt von der ersten bis zur letzten Sekunde in exakt diesem Rahmen. Er erreicht damit für den Zuseher einen Grad an Realitätsgefühl von dem selbst Dokumentationen nur träumen können. Die Intimität die jeder von seinem Privathaushalt auf der Bildschirmoberfläche des eigenen Computers kennt, ist plötzlich zum greifen nah auf der Leinwand.

Es ist faszinierend wie Bekmambetov es schafft mit den absichtlich beschränkten Mitteln eine Geschichte vielschichtig zu erzählen. „Profile“ ist ein Experiment jener Art wie sie normalerweise nur in Kurzfilmen Platz (und Finanziers) findet. Der Film entwickelt eine völlig neue Bildsprache – jedoch eine die wir alle intuitiv beherrschen und lesen können. Die Geschichte wird erzählt vom unaufgeräumten Desktop, der riskanten Chatnachricht die man schon getippt sieht, dann zögernd aber wieder gelöscht wird, ja, gerade Tippfehler oder die genervt weggeklickte Musik im Mediaplayer vermitteln mehr Zwischenzeiliges als so mancher Dialog es könnte. Und trotzdem bleibt die Erzählung nicht flach oder textlastig. Pixelige Videoverbindungen nach Syrien, Skypecalls zur gestressten Chefredakteurin oder hektische Googleanfragen neben dem laufenden Chatfenster („Are Online-Marriages legitimate?“) geben der Formidee saftiges Fruchtfleisch und machen Tempo.

Natürlich ist es dafür nötig dass Amy eine absolute Poweruserin ist. Aber vermutlich sind das Journalisten sowieso immer. Sie navigiert virtuos zwischen den unzähligen geöffneten Programme und Fenstern, wechselt zwischen mehreren Kommunikationskanälen. Ausgeschlossen ist der Zuschauer nur, wenn sie "offline" geht.
Und trotz dieser radikalen Erzählform ist „Profile“ kein intellektuelles Kopfkino, sondern ein mitreissender Thriller, bei dem man streckenweise nervös im Kinosessel hin- und herrutscht. Dass die Hauptfigur ein- zweimal Entwicklungssprünge von der souveränen Journalistin hin zur umgarnten Frau macht, die nicht ganz schlüssig durcherzählt sind, kann man entschuldigen: ein letzter Rest des Lebens spielt sich auch heute noch offline ab und muss bei einer solchen Erzählform nun einmal als gegeben hingenommen werden. Hin und wieder klappt sogar eine wie Amy ihr Notebook zu.
 
 

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