Die Nibelungen, Teil 1 - Siegfried

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Forumseintrag zu „Die Nibelungen, Teil 1 - Siegfried“ von Thorsten

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Thorsten (17.11.2017 20:54) Bewertung
Das Heldenepos im unbeschwerten Stil
Eldritch Advice
Uns ist in alten mæren wunders vil geseit / von helden lobebæren, von grôzer arebeit … und so weiter. Nationalepos, Fantasy Dichtung oder Crossover zwischen zahlreichen historischen und mythologischen Erzählungen? – Im deutschsprachigen Raum ist das Nibelungenlied wohl kaum jemanden unbekannt. Das Heldenepos rund um den Drachentöter Siegfried und dem Fall der Burgunder ist uns seit dem 13. Jahrhundert ein steter Begleiter. Verfasst wurden die über 2.400 Strophen dieses Liedes wohl im Passauer Raum, der Autor hingegen ist uns nicht bekannt. Die Geschichte umfasst Episoden aus der Zeit der Völkerwanderung, nordischen Sagen, Inspirationen aus der Geschichte von Burgund, et cetera. Für Nichtkenner könnte man es als das ursprüngliche „Lied von Feuer und Eis“ beziehungsweise „Game of Thrones“ beschreiben. Ein Stoff wie geschaffen für die große Leinwand. Mit dem Aufstieg des Kinos in der Weimarer Republik war es 1922 dann auch soweit und niemand geringeres als Fritz Lang, der Meister des Deutschen Expressionismus, adaptierte das Nibelungenlied zum ersten Mal als Zweiteiler für die Lichtspielhäuser. 1966 trat ein anderer österreichischer Filmemacher in seine Fußstapfen. Im Remake von Harald Reinl wurde das Epos für die Nachkriegsgeneration nicht bloß in Farbe und mit Ton, sondern auch wesentlich unbeschwerter umgesetzt.

Siegfried von Xanten steht vor den Toren Burgunds. König Gunther und seine Getreuen beraten indes wie man mit dieser Situation umgehen soll, denn militärisch hat man den scheinbar unbesiegbaren Drachentöter wenig entgegenzusetzen. Man entschließt sich den Eroberer als Gast willkommen zu heißen und setzt auf die Schönheit von Gunthers Schwester Kriemhild um die Häuser Xanten und Burgund durch eine Ehe zu vereinen. Der Plan gelingt, Siegfried verliebt sich unsterblich in die bezaubernde Prinzessin, doch der König hat eine Bedingung für ihre Heirat: Nur wenn es Siegfried gelingt König Gunthers Werben um die Hand der isländischen Königin Brunhild in die Tat umzusetzen, darf er Kriemhild zu seiner Frau nehmen. Ein schwieriges Unterfangen, denn durch den Gott Wotan besitzt Brunhild übermenschliche Kräfte und nur wer sie im Kampf besiegt ist ihrer würdig. Währenddessen sorgt sich Hagen von Tronje, ein treuer Gefährte Gunthers, um Siegfrieds wachsenden Einfluss am Hofe und fürchtet dies könnte den Untergang Burgunds bedeuten.

Ich muss sagen … Wenn schon kitschig, dann genau so!

Sowohl „Nibelungen - Teil 1: Siegfried“ als auch sein Sequel „Kriemhilds Rache“ sind definitiv keine Billigproduktionen. Mit einem Budget von ungefähr acht Millionen DM gelten sie als die teuersten deutschen Nachkriegsfilme ihrer Zeit. Ein Budget das insbesondere in den opulenten Filmsets und prunkvollen Kostümen ersichtlich ist. Hier lassen sich auch einige Parallelen zu Langs „Die Nibelungen: Siegfried“ erkennen. Allerdings gelingt es dem Remake nicht die ästhetische Perfektion seines Vorgängers zu erreichen. Augenscheinlich ist dies beim Kampf zwischen Siegfried und dem Drachen Fafnir. Die Verfilmung von 1922 lässt diesen immer noch realistischer und ansprechender wirken als jene von 1966. Dies soll allerdings nicht heißen, dass Reinls Werk schlecht aussieht. Ganz im Gegenteil, es ist ein regelrechter Augenschmaus, dem es allerdings, gewolltermaßen, an der Schwere des Originals fehlt. Ähnlich sieht es beim Soundtrack aus. Zwar umfasst dieser durchaus die Nibelungenklage, klingt ansonsten aber optimistisch und von der historischen Last des Quellenmaterials befreit. Komponist Rolf Wilhelm hat sich hierbei selbst übertroffen und schuf, insbesondere mit dem grandiosen Titelstück, einen der besten Fantasy Scores der Filmgeschichte.

Für die Besetzung gelang es Reinl eine interessante Mischung an Bord zu holen. Trotz fehlender Schauspielerfahrung wurde der Olympiateilnehmer Uwe Beyer als Siegfried gecastet. Zahlreiche Kritiker urteilten negativ über seine etwas naive Darbietung, ich sehe dies anders; da der Charakter in der Nibelungensage auf mich stets einen sehr blauäugigen Eindruck erweckte, erachte ich diese zur Schau gestellte Naivität als passend und der Vorlage entsprechend. Demgegenüber konnten seine Kolleginnen und Kollegen gänzlich durch ihre schauspielerischen Leistungen bestechen. Allen voran Siegfried Wischnewski als Hagen von Tronje. Bis zum heutigen Tag ist er für mich die Personifizierung dieses Charakters. Mit viel Würde, Zynismus und einer unendlichen Loyalität seinem König gegenüber, ist er die treibende Kraft in dieser Geschichte und dank Wischnewskis Theaterausbildung sind sämtliche von ihm vorgetragene Worte ein Genuss für die Ohren. Ein weiteres Highlight der Besetzung ist die unvergessene Karin Dor. Es hätte keine bessere Schauspielerin für die Rolle der nordischen Schildmaid Brunhild gefunden werden können. Jede Szene in der sie uns mit ihrer Präsenz beglückt ist ein Stück Filmgeschichte. Bei diesem Cast kann man einfach nur ins Schwärmen geraten, Mario Girotti (vielen besser bekannt als Terrence Hill), Dieter Eppler, Rolf Henninger, Christian Rode, und, und, und … allesamt eine Bereicherung für dieses Werk.

Ist dieser Film eines freitäglichen Filmabends würdig?

Obwohl es sich hierbei um ein Remake handelt, hat „Nibelungen - Teil 1: Siegfried“ mehr mit US-amerikanischen Fantasy/Abenteuerfilmen der 50er Jahre, wie etwa „Prinz Eisenherz“ (1954), denn mit seinem Vorgänger gemein. Dieser unbeschwerte Stil Hollywoods gepaart mit der Schwere des Nibelungenlieds ergab eine einzigartige Mischung die so nur im Deutschland der 60er Jahre entstehen konnte. Eine Mischung die vom Publikum auch durchwegs positiv angenommen wurde. Mehr als drei Millionen Zuseher konnten in den ersten 12 Monaten an den Kinokassen gezählt werden. Für damals waren dies beachtliche Zahlen, weswegen der Film 1968 mit der prestigeträchtigen „Goldenen Leinwand“ ausgezeichnet wurde.

Spricht man heutzutage von den großen Filmen die in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg produziert wurden so fehlt dieses Werk, meiner Meinung nach zu Unrecht, in einem Großteil dieser Aufzählungen. Was daran liegen mag, dass man den Film schlichtweg vergessen hat. Zwar lief er ab den 80er Jahren vereinzelt im Programm der Öffentlich-Rechtlichen, bekam allerdings erst 2003 eine einigermaßen ansprechende DVD Ausgabe, die innerhalb von kurzer Zeit ausverkauft war und erst 2013 wiederveröffentlicht wurde. Ich sah den Film zum ersten Mal als Kind im Nischenprogramm der Öffentlich-Rechtlichen und er hat mich sofort verzaubert. Ein Zauber der auch nicht verflog als ich 2003, als einer der wenigen Glücklichen, die DVD erwerben konnte. Nun, 14 Jahre später, sorgt dieses Werk bei mir immer noch für glänzende Augen. Somit ist „Nibelungen - Teil 1: Siegfried“ für mich eines freitäglichen Filmabends würdig.

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