A Skin So Soft - Ta peau si lisse

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Forumseintrag zu „A Skin So Soft - Ta peau si lisse“ von deutobald

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deutobald (31.10.2017 22:47) Bewertung
Marmor, Stein und Eisen schmilzt, wenn du deinen Body buildst
Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
Vorneweg: Denis Côté ist mir der Allerliebste. Seit ihn Hans Hurch bei der Premiere von „Curling“ vorgestellt hat, habe ich einen Narren an diesem eigenartigen Filmemacher gefressen. Objektiv über einen neuen Film von ihm zu schreiben, geht somit leider gar nicht.

Aber ich bezweifle, dass irgendjemand das Werk von diesem Menschen trennen kann, wenn man ihn einmal in natura erlebt hat. Auch heuer war seine persönliche Anwesenheit bei der Viennale angekündigt, der Termin für mich somit Pflicht, auch wenn ich mit dem Thema seines Mitbringsels nicht sonderlich viel anfangen kann.

Aber so geht es vermutlich der Mehrheit, ja selbst Denis Côté gibt zu, dass das Thema „alt“ ist. Nichtsdestotrotz sind diese befremdlichen Muskelmenschen offenbar da & wandeln Tag für Tag unter derselben Sonne wie unsereins. Man bekommt es nur meist nicht mit. Und während wir zur Arbeit gehen, auf Urlaub fahren, mit dem Hund Gassi gehen, machen sie nur eines: Muskelaufbau. Und zwar nicht so ein bisschen Muckis, damit das T-Shirt besser sitzt (sie haben im Film ohnehin sehr selten welche an), sondern Berge davon. Einige der dargestellten Typen sind derartig aufgebläht, dass sie in Bronze gegossen wie ein sarkastisches Kunstwerk zum Körperkult der alten Griechen durchgehen würden. Und obwohl der Film ohne jeden Kommentar auskommt, lernt man: ein derartiger Körper ist ein 24-Stunden-Job. Jede Sekunde ist der Modellierung des eigenen Leibes gewidmet, nichts, aber auch gar nichts mehr passiert zufällig oder impulsiv. Alles ist dem einen Ziel untergeordnet.

Interessanterweise trifft das zum Teil auch auf den Film an sich zu. Denis Côté erzählt im Publikumsgespräch von seiner Arbeitsweise, dass die objektive Beobachtung vor allem vor dem Dreh stattfindet und der Film selbst dann aber eine von ihm gesteuerte Inszenierung im Geiste der Tatsachen ist. Welche der Szenen real abgefilmter Alltag sind und welche von ihm ausgedacht, bleibt meist offen oder unbemerkt. Die Grenze zwischen Dokumentation & Fiktion gibt esin diesem Film nicht.
Aber das ist Côtés gutes Recht als Künstler. Wenn man sich über Bodybuilding schlicht nur informieren will, schaut man ohnehin besser ein paar Videos auf Youtube an.

Denis Côté schafft es die Protagonisten trotz ihrer Besessenheit ohne jede unfreiwillige Komik darzustellen (über sie zu lachen wäre das Allereinfachste). Seine Dokumentation erklärt das Thema nicht, im Gegenteil, was oberflächlich als Freakshow daherkommt, wird durch den intimen Blick erst recht zum Mysterium. So ist man etwa verwundert, dass ausgerechnet Erotik im Leben eines Bodybuilders offenbar nicht die geringste Rolle spielt. Es müssen andere Motive sein, die sie antreiben. Welche, das bleibt der Phantasie des Zuschauers vorbehalten.

Denis Côté hat mich mit seinen knochenbrecherisch heftigen Spielfilmen („Curling“ & „Vic et Flo ont vu un ours“) vor einigen Jahren überzeugt. Er ist ein absoluter Ausnahmefall von Regisseur und selbst wenn manches an seiner Kunst unverdaulich bleibt, man kann ihn immer noch für seinen stillen Humor, die grenzenlose Offenheit und die unvergesslichen Publikumsgespräche lieben.

„Ta peau si lisse“ ist – für mich – nicht Denis Côtés wichtigster Film, aber ein willkommenes Lebenszeichen und Gelegenheit sich zu überzeugen, dass der Regisseur gut im Training steht und ihm die Ideen sicher nicht so schnell ausgehen werden.
 
 

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