Queercore: How to Punk a Revolution

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Forumseintrag zu „Queercore: How to Punk a Revolution“ von deutobald

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deutobald (28.10.2017 09:02) Bewertung
„Heterosexuality is the opiate of the masses!“
Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
Punk war mehr als nur unkontrollierter Lärm von ungehobelten Nägelbeißern, die eh nicht Gitarrespielen können und auch mehr als das geschickte Marketingprojekt eines Malcolm McLaren. Punk war in den 70ern der klärende Kanonenschlag, der nötig war, um endlich die von den 68ern hinterlassenen Rauchschwaden zu verblasen.

Aber ein Blick in einschlägige Plattenregale & Fanzines zeigt, dass auch die Geschichte des Punk vorwiegend von weißen Männern geschrieben wurde. Was als quicklebendige Gegenbewegung begann, gerann bald in denselben chauvinistischen Bahnen wie viele Jugendkulturen davor. Ein Naturgesetz offenbar.

Aber abseits dieses Independent-Mainstreams gab es damals einzelne Freigeister, die nicht bereit waren sich von solchen Trends einkasteln zu lassen, ja geradezu genötigt waren sich was Eigenes zu basteln. Denn als Mensch der nicht in die üblichen Geschlechtervorstellungen passte, hatte man es in der testosterontriefenden Subkultur nicht leicht (und für die gesellschaftliche Mehrheit gehörten Queers ohnehin in die Disco). Der kulturelle Spielraum der Transgenders, Schwulen & Lesben gelassen wurde war minimal. Was darauf hin entstand nennt die Popkulturgeschichte Queercore.

Diesem Haufen Unbeugsamer ein filmisches Denkmal gesetzt zu haben, darf sich Lony Leyser auf seine Windschutzscheibe heften.
Der amerikanische Filmemacher lebt – Überraschung! – in Berlin & hat das dortige Jugendkulturarchiv als Ausgangspunkt für seine Recherchen genommen. Tonnen an Fanzines muss er gewälzt haben (im Film köstlich animiert), aber auch etliches an Videomaterial scheint aus der Zeit zu existieren. Herzstück seiner Doku sind aber die Interviews mit Künstlern & Aktivisten der 80er & 90er: Bruce LaBruce, Genesis P. Orridge, John Waters, Kim Gordon, Kathleen Hannah, ja sogar Kurt Cobain meldet sich via Archivmaterial aus dem Graberl und auch Ähnlichdenkende von heute, deren Schaffen durch Queercore erst möglich wurde, wie Peaches oder Beth Ditto. Das Ganze ist im Film knackig miteinander verschnitten, aber ohne dass sich der Autor stilistisch vor sein Thema drängen würde.

Sehr gelungen ist diese Doku und vor allem extrem wohltuend in dieser Ära ungehobelter, starker Männer, die ihr „grab'em-by-the-pussy!“ nicht nur ungestraft hinausposaunen, sondern dafür auch noch gewählt werden.

Aber wenn ich mir so das Publikum des Screenings im fuziwuzi Pleskow-Saal des Metrokinos anschau, dann hat die Botschaft eh wiedermal nur jene erreicht, die sie vorher schon kannten. Das ist zu wenig, meine Herrschaften!

Bleibt zu hoffen, dass die Doku bald einmal auf Arte einen Slot bekommt. Da der Sender mitproduziert hat stehen die Chancen gut.
 
 

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