Manifesto

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Forumseintrag zu „Manifesto“ von deutobald

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deutobald (30.01.2018 22:12) Bewertung
Manifestierte Manifeste
Exklusiv für Uncut
Manchmal würde es nicht schaden sich vor Kinobesuchen etwas schlau zu machen. Hätte ich das nämlich in diesem Falle getan, dann hätte ich vorher gewusst, dass ja Julian Rosfeldt der Videokünstler ist, von dem ich vor zwei Jahren in Linz einmal die beeindruckende Videoinstallation „Deep Gold“ gesehen habe, eine ca. 20-minütige Hommage an Luis Bunuels „L'Age d'Or“ und die Cabaret-Kultur der 20er, gedreht als einzige Einstellung, die noch dazu als Endlosschleife funktioniert. Stunden bin ich damals im Museum vor der Projektion auf und ab gegangen und hab mir geschworen den Namen des Herrn nie mehr zu vergessen. Hab ich aber. Da können die Experten noch so sehr raunen, dass der eh weltberühmt ist.

Und so bin ich in diesen Film gestolpert wie in einen Eiskübel. Umso köstlicher und erfrischender ist's darin allerdings, sobald man sich in dem Ding zurechtgefunden hat: es handelt sich um die aneinandergereihten Sequenzen einer Videoinstallation Rosfeldts, die in ihrer Urform schon 2015 ausgestellt wurde. Die Figuren, alle von Kate Blanchett gespielt, werden meist in banalen Situationen gezeigt: eine Schulstunde, eine Nachrichtensendung, ein Obdachloser in der Industrieruine, eine Begräbnisgesellschaft... insgesamt 13 an der Zahl. Der Clou dabei: der gesprochene Text der Figuren stammt ausschließlich aus künstlerischen Manifesten des 20. Jahrhunderts. Dada, die Suprematisten, Dogma 95, Merz, die Futuristen und was es sonst noch an Künstlergruppen gab, die dereinst die Welt neu erfinden oder zumindest mal niederreissen wollten. Sobald man sich an die schauspielerischen Wunder gewöhnt hat die Kate Blanchett vor der Kamera vollbringt und im verblüfften Hirn wieder Blut zirkuliert, passiert idealerweise genau das, was Rosfeldt vermutlich beabsichtigt hat: man fragt sich was denn von all den zukunftsberauschten Manifesten geblieben ist. Hat das unstürzlerische Wollen der Kunstrevolutionäre irgendwo auch nur einen Sack Reis zum wackeln gebracht? Und was ist denn nun eigentlich die gesellschaftliche Rolle von Künstlern, wenn sie schon nicht vorrangig ihre Aufgabe in der Behübschung bürgerlicher Wohnräume sehen?

Wenn man allerdings keine Lust hat, sich mit derlei philosophischem Gedenkel herumzuschlagen, lohnt sich der Film trotzdem noch. Es gibt auch so einiges zu sehen, vor allem eben Kate Blanchetts Verwandlungskünste, aber Zeit zum Nachdenken bleibt trotzdem genug. Vor allem weil man das intellektuelle Geschwafel der Texte manchmal ohnehin nicht versteht. Ich glaub ja manche dieser Manifeste wurden ohnehin nicht in der Absicht geschrieben gelesen oder gar vorgetragen zu werden. Aber immerhin haben sie ihren künstlerischen Zweck dahingehend erfüllt, als sie Julian Rosfeldt zu diesem schönen Stück Film inspiriert haben.
 
 

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