Ciao Chérie

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Forumseintrag zu „Ciao Chérie“ von vroniluisa

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vroniluisa (06.04.2017 20:58) Bewertung
Hello, Vienna Calling!
Exklusiv für Uncut von der Diagonale
Im Rahmen der Diagonale 2017 feierte der Film „Ciao Chérie“, der erst vor kurzem fertig gestellt wurde, Premiere. Die Regisseurin Nina Kusturica, die schon mit Filmen wie „Little Alien“ (2009) und „Auswege“ (2003) begeisterte war mit dabei und sprach über ihre Motivation diesen außergewöhnlichen Film zu drehen.

Der 16. Wiener Bezirk ist ein Melting Pot. Menschen die hier leben, kommen von überall her und bringen ihre Kultur, ihre Sorgen, ihr Leben mit. Die Diversität, die Buntheit dieses Wiens vermisst Nina Kusturica auf österreichischen Filmleinwänden – und fühlt sich verantwortlich zu zeigen, dass Wien 2017 nicht nur weiße Menschen im Wohlstand Mitte 30 sind. „Eine Gemeinsamkeit zwischen den Kulturen ist Emotion.“ So will sie nicht nur die Geschichten ihrer telefonierenden ProtagonistInnen erzählen. Sie will, dass wir mitfühlen und zeigt in ihrem Film Emotionen, die wir alle zu gut kennen: Liebeskummer, Angst, Einsamkeit, Verlust, Sehnsucht, Heimweh, Sprachlosigkeit und Freude.

Im Rahmen der Dreharbeiten ließ sie sich mit ihrem Team viel Zeit. Für sie ein Luxus, den sie sehr froh war zu haben. So castete sie manchmal in der Mittagspause neue Leute für ihren Film direkt von der Straße im 16. Bezirk. Authentizität ist wohl eine der großen Stärken dieses Filmes, und der Regisseurin.

Menschen kommen und gehen, nehmen in gläsernen Telefonkabinen Platz, schicken ihren Familien Geld in die Heimat und erzählen ihre Geschichten telefonierend. Sobald sich die gläserne Tür schließt, scheinen die ProtagonistInnen in einer Art Beichtstuhl, an einem Ort der kompletten, nackten Ehrlichkeit. Freudige Gesichter, Tränen, sowie unangenehme Gesprächspausen oder Streits spielen sich in der Telefonkabine ab. Während sie mit ihrem geträumten Gegenüber sprechen sind die ProtagonistInnen isoliert von ihrer Umwelt – in diesem gläsernen Beichtstuhl suchen sie die Verbindung zu ihren Mitmenschen. Doch schon sobald sie die Kabine verlassen, bezahlen und aus der Tür treten wirken sie auf mich noch isolierter, noch ferner von ihren Emotionen und dieser erschaffenen Realität von Japan, Syrien, Nigeria, Italien oder anderen Ländern in der Telefonkabine. Genau dieses erträumte Gegenüber und die Macht der Sprache, und Stille machen den Film für Kusturica auch stilistisch so interessant. Sie sei fasziniert von der Macht der Stimmen, die am Telefon nicht lügen, nichts verstecken können, auch wenn sie es teils versuchen.

Ein bisschen ist für mich der Film, auch mit seiner schlau gewählten Musik, wie eine kurze Weltreise im Traum. Die Bilder, die gezeigt werden sind zwar fast immer nur stille Porträtaufnahmen der telefonierenden Charaktere – trotzdem entreißen sie mich in die Welt, die sie schaffen.

Gerne werde ich den Film sobald er in den Kinos anläuft noch einmal sehen, und ihn vielen Mitmenschen weiterempfehlen – denn selten habe ich einen Film sehen dürfen, in dem Menschen mit Migrationshintergrund (oder wie Nina Kusturica sagt: „Internationale Menschen“) nicht auf eine Opferrolle in der Gesellschaft oder Clichés reduziert werden, sondern einfach und sensibel als Menschen dargestellt sind.
 
 

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