I Am Not Your Negro

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Forumseintrag zu „I Am Not Your Negro“ von Stadtneurotikerin

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Stadtneurotikerin (17.02.2017 21:18) Bewertung
Vom kleinen „Shoeshine boy“ zum großen Aktivisten
Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2017
Raoul Pecks Dokumentarfilm „I Am Not Your Negro“ ist für den Oscar als bester Dokumentarfilm nominiert, interpretiert das Genre neu und liefert uns eine Doku, die in dieser Form noch nie so da war.

Peck schafft einen klaren Erzählrahmen, indem er James Baldwins bisher unveröffentlichtes Manuskript „Remember This House“ hernimmt und es in einen Film verwandelt. Samuel L. Jackson leiht dem verstorben Autor seine Stimme und erzählt in einem Voice-Over die Geschichte Amerikas neu und tut dies aus der Sicht eines „Black American“. Denn die Geschichte Amerikas ist auch die Geschichte der Afro-Amerikaner. Beide sind nicht von einander zu trennen, trotz Segregation.

Baldwins Erzählung wird untermalt mit Archivfotos, Filmausschnitten und Nachrichten-Material. Besonders bewegend sind die Fotos, etwa von einem jungen schwarzen Mädchen auf dem Weg zur Schule, das von einer Horde weißer Männer verfolgt und verhöhnt wird. Es sind Bilder wie diese, die Baldwin, der einige Zeit in Paris lebte, Ende der 1950er Jahre dazu bewegen in die Vereinigten Staaten zurückzukehren, obwohl er keinerlei Heimatgefühl für seine Heimat empfindet. Aber ihn bindet eine Pflicht, die für ihn daraus resultiert selbst Afro-Amerikaner zu sein, um ihre „civil rights“ zu kämpfen. Also instrumentalisiert Baldwin seinen Intellekt und seine Kunst, um die Rechte der Schwarzen in der Rassentrennungs-Debatte zu verteidigen.

Baldwin macht aber klar, es ist weit mehr als nur eine Debatte. Es ist ein Kampf – auf beiden Seiten. Weiß gegen Schwarz und Schwarz gegen Weiß. Er macht aber auch klar, dass die Motivation bei beiden eine andere ist. Der Nährboden der Gewalt der Weißen ist „terror“ und der Gewalt der Afro-Amerikaner ist „rage“. Diese Wut spürt man auch in Baldwin und sie ist ansteckend.

Einen Großteil seiner Erzählung widmet Baldwin seinen Mitstreitern Medgar Evers, Martin Luther King und Malcom X. Alle drei haben als Bürgerrechtsaktivisten einen bedeutenden Beitrag im Kampf um die Rechte der Afro-Amerikaner geleistet, mussten aber mit ihrem Leben dafür bezahlen. Alle drei wurden ermordet und Baldwin versucht ihr Erbe fortzutragen.
Besonders interessant waren die Filmausschnitte aus alten Hollywood-Klassikern, die auch Baldwin wie alle Amerikaner gesehen hat. Doch wenn Film eine Repräsentation unserer Welt bzw seines Amerikas ist, stellt sich der kleine Junge aus Harlem, der Baldwin einst war, die Frage, wieso niemand in diesen Filmen so aussieht wie sein Vater. Entweder kommen keine Afro-Amerikaner vor, weil Doris Day neben ihnen so blass aussehen würde oder sie werden als Wilde repräsentiert wie in „King Kong“.

Baldwins Manuskript stammt zwar aus 1979 und erzählt hauptsächlich von dem Rassenkampf der 60er. Interviews und Archivfotos stammen auch aus dieser Zeit. Jedoch zeigt Raoul Peck auch aktuelle Nachrichtenausschnitte, wie etwa Bilder der gegenwärtigen Polizeigewalt gegenüber Afro-Amerikanern und unterstreicht so, dass die Problematik noch immer nicht vom Tisch ist. Das Zusehen tut tatsächlich weh. Der einzige Trost bleibt dabei, dass zumindest James Baldwin diese Bilder erspart bleiben.

Wahnsinnig gelungene Dokumentation, die sowohl relevant als auch aktuell ist, die sowohl berührt als auch aufwühlt und die vor allem schön und zugleich hässlich ist. Baldwins poetische Erzählung geht unter die Haut, ebenso die Bilder, die Peck mit uns teilt. Und welch schöne Ironie, dass Hollywood, dem immer noch vorgeworfen wird zu wenig divers zu sein, diese Dokumentation ins Rennen um den Oscar schickt, obwohl „I Am Not Your Negro“ Hollywood das gleiche vorwirft.
 
 

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