The Wound

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Forumseintrag zu „The Wound“ von Stadtneurotikerin

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Stadtneurotikerin (22.02.2017 20:02) Bewertung
Echte Männer
Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2017
„The Wound“ ist das Spielfilmdebut des südafrikanischen Regisseurs John Trengove und zwar ein ziemlich gelungenes. Der Film begleitet eine Gruppe von jugendlichen Burschen, ihre Väter und ein paar Helfer in die südafrikanischen Berge, wo ein traditionell südafrikanisches Einweihungsritual stattfinden soll. Die Jugendlichen werden dort beschnitten und erlernen in den sieben Tagen, die ihre Wunde zur Heilung benötigt, was es bedeutet, in ihrer Kultur ein Mann zu sein. Die ersten Minuten des Films fühlen sich etwas an wie ein Dokumentarfilm, der uns in die Fremde der südafrikanischen Tradition entführt. Diese ist schmerzhaft, blutig und ist wohl nur was für echte Männer.

Echte Männer gibt es im Film zu Genüge, aber keine einzige Frau. Frauen haben nichts verloren bei diesem Ritual, aus dem man als Mann vorhergeht. Die vor Stolz platzenden Väter begleiten ihre Söhne aber, schließlich ist das Männersache - eine die von Generation zu Generation weitergegeben wird. Zumindest solange niemand der Tradition seinen Rücken zukehrt.

Der Protagonist Xolani lebt in der Stadt und arbeitet in der Fabrik - er steht somit für Moderne. Als Helfer wird er immer den zart-besaiteten Jugendlichen zugewiesen, die wohl so sind wie Xolani es einst selbst war – oder noch ist. Damit repräsentiert er nicht nur die Moderne, sondern auch die Weiblichkeit, die sonst im Film gar nicht vertreten ist. Weibliche Charaktere gibt es nicht, aber weibliche Eigenschaften. Aggression ist männlich. Xolanis Sanftmut ist weiblich. Und auch die Tatsache, dass er einen der anderen Helfer liebt, also schwul ist, passt nicht in das traditionelle Konzept von Männlichkeit, das der Film entwirft bwz. widerspiegelt.

Auch die Kollision zwischen Moderne und Tradition ist interessant dargestellt. Xolanis Eingeweihter Kwanda weiß mit der Tradition nichts anzufangen. Anstatt um das Lagerfeuer zu tanzen, sperrt er sich lieber in das Auto seines Vaters ein und hört Techno. Doch in den Gesprächen zwischen Xolani und Kwanda wird klar, dass letzterer deswegen abgeneigt ist, das Berglager als Mann zu verlassen, weil er kritisch hinterfragt, was das überhaupt bedeuten soll. Gleichzeitig outet er sich vor Xolani als schwul. Damit wird Xolani ein Spiegel vorgehalten. Er sieht sich selbst in dem Jungen - seine Sexualität, seine Sanftmut, sein kritisches Denken. Doch trotzdem ist Xolani aus freien Stücken in den Bergen und tut es sich jedes Jahr aufs Neue an. Es wird bald klar, dass Xolani nicht aus Traditionsbewusstsein dem Ritual beiwohnt, sondern aus Liebe – und zwar aus Liebe zu einem der anderen Helfer. Die heimliche Liebe zwischen den zwei Männern ist leidenschaftlich, doch ist der Grad zwischen Leidenschaft und Gewaltsamkeit ein schmaler.

All diese Parallelen auf der einen und all die Wiedersprüche auf der anderen Seite führen zu interessanten und spannenden Konstellationen und Situationen, die ein ergreifendes Ende finden. Obwohl sich der Film viel mit Stereotypen beschäftigt, wird er zu keinem Zeitpunkt selbst zum Klischee.
 
 

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