Der Stern von Indien

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Forumseintrag zu „Der Stern von Indien“ von susn

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susn (06.03.2017 23:32) Bewertung
Propaganda light als Historienepos
Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2017
Als die Briten und die indische Regierung im August 1947 Indien in zwei Staaten teilten, entstand einer der größten Völkerwanderungen aller Zeiten. Nicht nur führten die Monate davor und während der Teilung zum Tod von mehreren hunderttausend Menschen, etwa 20 Millionen Menschen wurden im Zuge der Aufteilung deportiert, vertrieben oder umgesiedelt. Es ist ein historischer Abschnitt Indiens, Pakistans und auch des heutigen Bangladeschs, der noch immer zu starken Emotionen führt und in dem die Betroffenen noch keinen Konsens gefunden haben, wer an der Entwicklung Schuld hatte, was richtig oder falsch war und wie man völkerverbindend damit umgehen soll. Auch heute herrscht zwischen Indien und Pakistan Konfliktpotenzial, unter anderem über geographische Territorien.

In ihrem Film setzt sich Regisseurin Gurinder Chadha mit der Amtszeit des letzten Vizekönigs, Lord Mountbatten, Urenkel von Königin Victoria, auseinander und was in seinem Palast in Delhi vor sich ging, als alle Parteien entschieden, Indien solle geteilt werden. In der Geschichtsschreibung ist die Teilung als „Mountbattenplan“ festgehalten, für manche Beteiligten und Nachkommen ist er der Schuldige in dieser Entwicklung. Chadha will mit ihrem Film dagegenhalten. Gemäß ihrer Recherche sei er nur eine Marionette eines größeren Coups gewesen, ein Bauernopfer im Kampf der Geopolitik.

Chadha versucht in ihren Film somit zwei Grundbedürfnisse zu befriedigen. Einerseits, wie man es von einem britischen Historiendrama erwartet, ein Fest fürs Auge mit viel detailverliebter Ausstattung, riesiger British Empire Sets, einem bunten Indien und einem Flair von „Downton Abbey“. „Dagegen ist Buckingham ein Bungalow“, bestaunt Gillian Andersons Lady Mountbatten das Anwesen, bevor sie mit ihrer Gefährtin das Hundefutter kostet. Immerhin haben beide seit vor der Rationierung im Zweiten Weltkrieg kein Huhn mehr gegessen. Andererseits räumt sie der politischen Diskussion und den verschiedenen Standpunkten den entsprechenden Raum ein. „Viceroy’s House“ ist in erster Linie ein Film der Diskussionen, der Suche nach einem politischen Konsens und der Frage, was das Beste für Indien sei. Eine Konsenssuche, die erfreulicherweise nicht nur von alten weißen Männern geführt wird, sondern auch die führenden Politiker Indiens einschließt. Es ist jedoch genau diese Debatte um die beste Lösung für Indien, die den Film in einen Propaganda-Grundton abrutschen lässt.

Als Punjabi (der Punjab ist eine ehemals indische Region, die nun zum Großteil in Pakistan liegt), die in Großbritannien aufwuchs, sieht Chadha sich als neutrale Instanz. Ihr Film sei eine „britische Sicht mit Punjabi Herz“. Ihr Anliegen sei allein gewesen zu zeigen, was für Folgen die Entscheidung einer Teilung nach sich gezogen habe. Das ist zwar sehr nobel von Chadha, entspricht aber nicht der Botschaft des Films. Richtig ist, dass sie jeder Volksgruppe in dem Film das Wort erteilt. Dennoch fällt auf, dass, entgegen der Briten und der muslimischen Inder, sich kein einziger Hindu für eine Teilung ausspricht. Für sie ist diese Idee unisono schrecklich. Generell verurteilen alle Seiten konstant die Teilung, sie „bringe keinen Frieden“. Jene, die sich dafür aussprechen, sind Hintergrundcharaktere oder tragen leichte antagonistische Züge.

Weiter verdeutlicht wird die Ablehnung der Trennung durch die unnötige, „by the numbers“ Liebesgeschichte zwischen dem Hindu Jeet und der Muslimim Aalia. Die beiden werden in ihrer anfangs schon beschwerlichen Ausgangssituation in ein noch größeres Chaos gestürzt, als überall Gewalt ausbricht und Aalias Familie sich nicht sicher ist, ob sie in Delhi bleiben soll oder in das neu gegründete Pakistan ziehen soll. „Ich habe Angst“, schluchzt Aalia an einem Punkt in Jeets Schulter. Dem Zuschauer ist das herzlich egal, ihr Happy End das beweisen soll, dass Liebe keine Grenzen und Religionen kennt, scheint unausweichlich.

Bei der Pressekonferenz erklärte Chadha, deren Großmutter ebenfalls eine Vertriebene war, dass sie erst einmal auf dem alten Familienanwesen im heutigen Pakistan war. Einen Namen, den sie nicht gerne in den Mund nimmt. „Mein Heimatland liegt in einem anderen Land“, erklärte sie, für sie sei das alles immer noch „pre-geteiltes Indien“. Das ist die Botschaft, die der Film letztendlich nach außen trägt. „Sie haben Indien zerstört“, schreit Mountbatten, als er die wahre Intention der Briten für ein unabhängiges Pakistan erkennt. Die Geschichte wird von Siegern geschrieben, aber wer die eigentlichen Sieger sind, das bleibt nach wie vor offen. Auch dieser Film ist nur eine weitere Meinung und kein versöhnliches Portrait einer schweren Zeit.
 
 

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