Helle Nächte

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Forumseintrag zu „Helle Nächte“ von susn

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susn (21.02.2017 20:34) Bewertung
Gute Darsteller ersticken in träger Inszenierung
Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2017
Wie sperrt man seine Protagonisten auf einen möglichst kleinen Raum in einer Gegend, die außerhalb des Wohlfühlbereichs liegt und zwingt sie, sich miteinander oder einer von außen einwirkenden Bedrohung auseinanderzusetzen? Die Antwort lautet ganz klar Roadmovie. Von „Little Miss Sunshine“, „Rain Man“ oder „Thelma und Louise“, im deutschsprachigen Sprachraum „Knocking on Heaven’s Door“ oder „Vincent will Meer“, oder der österreichische Klassiker „Indien“, in all diesen Filmen durchlaufen die Protagonisten nicht nur eine geographische, sondern auch eine persönliche und emotionale Reise. Genau das wollte Thomas Arslan wohl auch mit „Helle Nächte“ schaffen. Im Gegenzug zu den zuvor genannten hervorragenden Beispielen, scheitert er leider an seinem Vorhaben, einen interessanten Film zu machen.

Arslan erzählt die Geschichte des Bauingenieurs Michael, rührend und planlos dargestellt von Georg Friedrich, der erfährt, dass sein Vater in Norwegen verstorben ist. Als er seine Schwester darüber in Kenntnis setzt, weigert diese sich mitzukommen, da beide Kinder kein gutes Verhältnis zum Vater hatten. Eine Kerbe, in die Michael, wie der Zuschauer kurz darauf herausfindet, ebenfalls schlägt. Mit nach Norwegen reist sein 14-jähriger Sohn Luis, zu dem auch er als Vater nur ein schlechtes Verhältnis hat. Jahrelang hatte zwischen den beiden kaum Kontakt geherrscht. Luis, feinfühlig und kindlich verletzt dargestellt von Tristan Göbel, stellt somit auch gleich zu Beginn der Reise klar: „Ich bin nicht wegen dir mitgekommen, ich wollte sehen wie Opa gelebt hat“. Nach dem Begräbnis schlägt Michael vor, noch ein paar Tage durch den rauen, spärlich besiedelten Norden Norwegens, in dem die Mitternachtssonne gerade fast 24 Stunden Tageslicht liefert, zu reisen. Er will den Teufelskreis durchbrechen, seinem Sohn näher kommen als er es selber mit seinem Vater in der Lage war. Luis willigt ein. Die Tatsache, dass beide sich erst langsam kennen lernen müssen und auch von Luis Seite Groll gehegt wird, macht das Unterfangen zu einem Road Trip voll emotionaler Schlaglöcher.

Zwei sich fremde Personen, ein Auto und die einsame Natur, in der man sich gegenseitig ausgeliefert ist. Es klingt wie ein gutes Rezept, um etwas Staub aufzuwirbeln, die Gedanken und Meinungen der Protagonisten inhaltlich abzuklopfen und deren Seelenleben genüsslich freizulegen. In Ansätzen gelingt das Arslan auch. Mit fast peinlicher Berührung darf der Zuschauer miterleben, wie Michael seinen Sohn konstant ausfragt. Filme, Freunde, Fußball, der aktuelle Freund der Mutter, sein Verhältnis zur Mutter, der Berufswunsch, das Lieblingsauto – der entfremdete Vater versucht sein Kind wie anhand einer Checkliste kennen zu lernen. Luis bockt verständlicherweise, gibt immer wieder zu verstehen, wie wenig er von diesen Verhören hält. Es ist ein zwanghaftes Kennenlernen, aber eines, dem er nicht entrinnen kann. Beide Figuren, die daheim in Deutschland nie einen Alltag miteinander hatten, müssen nun einen gemeinsamen Umgang und eine gemeinsame Sprache miteinander erlernen. Das Abblocken Luis von den fast klischeehaften Versuchen seines Vaters, mit ihm ins Reine zu kommen und zu erklären, wieso er die Familie verließ, wirkt zu Beginn noch erfrischend und einigermaßen originell. „Das ist mir egal, ich will das nicht hören“, ruft er, als Michael ihm von vergangenen Seitensprüngen erzählt. Leider gibt Arslan mit dem Fortschreiten der Handlung den Zwängen eines runden Handlungsbogen nach und lässt die beiden sich langsam wieder annähern. Ob sie auch jenseits der norwegischen Mitternachtssonne ein Miteinander beibehalten werden, bleibt jedoch offen.

Dieser Mikrokosmus des Fremdseins auf den langen Autofahrten, und die exzellenten Darstellungen von Friedrich und Göbel, die sich darinnen entfalten, sind die einzigen Stärken des Films. Leider kann „Helle Nächste“ sonst dramaturgisch wenig überzeugen, abgesehen von der berauschenden Schönheit Norwegens. Arslan, ein Kind der Berliner Schule, bedient sich auch in diesem Film dessen typischer Stilelemente. Alltägliche Szenen werden von Charakteren durchlebt, über deren Hintergründe der Zuschauer nur wenig erfährt. Deren Ziel, ihr Leben zu verbessern, spielt sich in zersiedelten, heruntergekommenen Landschaften und nicht Nicht-Orten ab. Auch über Michael und Luis erfährt man nur häppchenweise mehr. Luis Einführung geht sogar komplett kommentarlos von statten, sein Name fällt erst viel später im Film, als er sich in der Ferienhaussiedlung mit einer jungen Norwegerin unterhält.

Es ist jedoch nicht dieser Vertrauensvorschuss an den Zuschauer, eins und eins zusammenzählen zu können, was den Film so anstrengend zu schauen macht. Es ist Arslans behäbige, langgezogene Inszenierung, die schwer an den Geduldsnerven zerrt. Immer wieder wird die Geschichte durch lange Einstellungen der Umgebung durchbrochen, in denen sich keine Handlung ereignet. In einer Sequenz läuft die Kamera mit Blick aus der Fahrerkabine gute fünf Minuten lang ununterbrochen durch, als das Auto sich durch die Nebeldecken auf einem Gebirgshang langsam vorwärts bewegt. Es sind Szenen wie diese, die den Film aus seinem sowieso schon sehr langsamen Rhythmus herausreißen und im Zuschauer den Wunsch verstärken, Michael und Luis würden endlich am Ziel ihrer Reise ankommen. Das ist bei 86 Minuten Laufzeit eine beachtliche aber auch enttäuschende Leistung.
 
 

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