Nocturama

Bewertung durch deutobald  60% 
Durchschnittliche Bewertung 65%
Anzahl der Bewertungen 4

Forumseintrag zu „Nocturama“ von deutobald


deutobald_3cfc7ac6b3.jpg
deutobald (26.10.2016 15:44) Bewertung
Rebellen allein im Shoppingcenter
Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
Eigentlich frag ich mich ja immer wieder wie weit es überhaupt legitim ist Filme zu bewerten, wo doch einen großen Teil der Sache der Personalstil des Autors ausmacht und das Gefallen somit Geschmacksache ist. Mit manchen Menschen kann man, mit manchen nicht. Ist halt so.
Ganz besonders gilt das bei Filmemachern wie Bertand Bonello. Seinen sehr markanten Individualstil – harte Schnitte in langen ruhigen Einstellungen, oftmalige Wiederholungen, der unvermittelte Einsatz von Rückblenden – kann man mögen, muss man aber nicht.
Mir persönlich ist er erstmals bei einer früheren Viennale mit seinem bemerkenswerten „L'Apollonide“ untergekommen & trotz anfänglicher Skepsis sind wir dann doch miteinander warm geworden. Einigermaßen.

Nun also „Nocturama“.

Im Gegensatz zum historischen Thema seiner letzten Arbeit ein sehr heutiger Film: eine Gruppe blutjunger Aktivisten verübt im Pariser Getümmel eine perfekt getimte Serie von Anschlägen. Die Kamera begleitet sie dabei und in den Stunden darauf aufs Intimste.

Eins der grundlegenden Probleme dieses Filmes – so grundlegend, dass selbst Bertrand Bonello es eingangs im Publikumsgespräch erwähnt – ist, dass sein Thema scheinbar in der Zeit seit er geschrieben & gedreht wurde von der französischen Wirklichkeit der Jahre 2015/16 überholt wurde.
Mich persönlich hat dies allerdings nicht gestört, im Gegenteil, es ist in diesem Film nämlich von politischem, nicht religiös motiviertem Aktivismus die Rede. Eine Form von Terrorismus die seit den Tagen der RAF, Brigate Rosse oder Action dirècte in Mitteleuropa fast vergessen ist.

Was mich hingegen schon weit mehr stört als diese scheinbare Überholtheit ist, dass Bonello sich absolut nicht um die Motive der jungen Menschen kümmert. Kaum oder nur sehr vage wird darauf eingegangen, was sie bewegt gezielte Exekutionen vorzunehmen, Bomben zu legen und dabei den Tod Unschuldiger in Kauf zu nehmen. Stattdessen ergötzt sich die Kamera etwa lange an der thrillerartig inszenierten Sternfahrt der Protagonisten an ihre Tatorte (Uhrzeiteinblendungen inklusive). Weil man noch nicht weiß worauf's hinausläuft baut das zwar köstliche Spannung auf, erzählt aber nix & wäre auch in kürzerer Darstellung noch effektvoll gewesen.
Dass die Gruppe nach verübter Tat im zweiten Teil der Erzählung ausgerechnet in einem nächtens versperrten Kaufhaus untertaucht um dort abgeschieden den hoffentlich ruhigeren Folgetag zu erwarten, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Erstens da dies natürlich guerillataktisch absoluter Selbstmord ist und mehr noch da sie dort – alleingelassenen Kindern im Zuckerlgeschäft gleich – in einen wahren Konsumrausch verfallen.
Man bekommt den Verdacht, dass den Figuren gar nicht so sehr daran liegt die Gesellschaft als Ganzes zu verbessern, sondern einzig Konsumneid sie angetrieben haben könnte. Und auch das Zeitproblem, das ich mit diesem Film habe wird hier abermals virulent: 7 Handlungsstunden müssen sich nicht unbedingt wie 420 Filmminuten anfühlen um zu wirken.

Nun gut, Sie merken schon, ich bin gespalten. Das Fazit könnte lauten: sehr ästhetisches, (personal)stilsicheres Stück Kino, das seine gesellschaftlichen Fragen ganz dem Zuschauer überlässt und vermutlich auch in 90 statt 130 Minuten erzählt werden könnte. Aber dann wär's wohl kein Film von Bertrand Bonello mehr.
 
 

zum gesamten Filmforum von „Nocturama“
zurück zur Userseite von deutobald