Baby Driver

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Forumseintrag zu „Baby Driver“ von chrosTV

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chrosTV (03.08.2017 13:55) Bewertung
Edgar Wright gibt Vollgas
Exklusiv für Uncut
Der mittlerweile 43-jährige Brite Edgar Wright dürfte einem breiten Publikum als Mastermind hinter der lediglich durch ein paar wiederkehrende Themen miteinander verbundenen Three-Flavours-Cornetto-Trilogie (Shaun of the Dead, Hot Fuzz, The Worlds End) bekannt sein, in der er mit seinen beiden Hauptdarstellern Simon Pegg und Nick Frost verschiedenste Genrekonventionen persiflierte und dabei stets was völlig Neues kreierte. Was jedoch besonders in Wrights Oeuvre hervorsticht, ist dessen markanter visueller Stil, den er seit Beginn seiner Karriere konsequent durchzieht und ihn vom Großteil der modernen Comedy-Filmemacher deutlich abheben lässt. Im Gegensatz zu vielen anderen modernen Komödien, bezieht Wright die Komik seiner Werke nicht nur aus Wortwitzen und improvisierter Situationskomik – die Pointen seiner Streifen spielen sich zumeist auf visueller Ebene ab. Stets begleitet von schnellen Schnitten, nahezu unsichtbaren Szenenübergängen und kreativen visuellen Ideen en Masse, konnte Wright bereits in seinen Frühwerken sein handwerkliches Talent zur Schau stellen. Für seine 2010 erschiene detailgetreue Verfilmung der Graphic Novel-Reihe „Scott Pilgrim vs the World“ perfektionierte er seinen Stil noch ein Stück mehr und kreierte eine an Videospiele und Animes angelehnte Ästhetik, die moderne Popkultur und den heutigen Geek-Zeitgeist so akkurat auf die Leinwand bannen konnte, wie kaum ein anderer Film.

Nachdem er 2013 mit „The World’s End“ den krönenden und überraschend ernsten Abschluss seiner Cornetto-Trilogie in die Kinos brachte, begann Wright an der Fertigstellung seines bisher größten Projektes zu arbeiten: der Adaption des Marvel-Comics „Ant-Man“. Wright, der gemeinsam mit Joe Cornish bereits seit 2006 an einer Verfilmung dieser eher wenig bekannten Superhelden-Reihe gearbeitet hatte, war jedoch von vielen Änderungen im Drehbuch, die ihm Disney Studio-Executives aufzwingen wollten, um den Streifen in die Kontinuität des „Marvel Cinematic Universe“ einzufügen, nicht sonderlich angetan. Da Wright nicht mehr länger mit ansehen konnte, wie ihm in sein eigenes Werk gepfuscht wird, gab er Mitte 2014 aufgrund von ‚kreativen Differenzen‘ den Regieposten an Ja-Sager Peyton Reed (*Achtung Wortspiel*) ab.

In der Zwischenzeit kehrte der leidenschaftliche Cineast und Filmemacher in sich, veröffentlichte unter anderem online eine aufwändige Liste seiner 1000 Lieblingsfilme und begann sich einem Herzensprojekt zu widmen, dessen erste Skriptentwürfe bereits Anfang der 90er-Jahre entstanden sind und den kuriosen Titel „Baby Driver“ tragen sollte. Basierend auf Walter Hills „The Driver“ (1978) plante Wright einen Actionthriller über einen jungen Fluchtwagenfahrer zu drehen, dessen Leben nach einer Tinnitus-Erkrankung von Musik angetrieben wird. Nachdem Wright bereits 2003 Teile seines Konzepts für ein Musikvideo der britischen Electronic-Gruppe „Mint Royale“ verwenden konnte, gelang es ihm mit zahlreicher Unterstützung nun mehr als 20 Jahre nach der Entstehung der Ursprungs-Idee „Baby Driver“ in Lichtspielhäuser weltweit zu bringen. Eines sei vorab schon mal gesagt: die lange Wartezeit hat sich mehr, als nur gelohnt!

Zunächst einmal: Worum geht es eigentlich?
„Baby Driver“ erzählt die Geschichte vom jungen Fluchtfahrer Baby (Ansel Elgort), der mit seinem Talent, die Kriminellen ohne Probleme immer vor dem Eindringen der Polizei an einen sicheren Ort zu lenken, die Unterwelt Atlantas beeindruckt. Was den jungen Erwachsenen aber besonders von sämtlichen Kriminellen unterscheidet, ist seine Leidenschaft zur Musik. Seit er im jungen Alter an einem Tinnitus leidet, wird sein Alltag stets von Kopfhörern und seinen Lieblings-Songs begleitet. Eines Tages verliebt sich Baby in einem Diner in die Kellnerin Debora und will mit ihr aus deren beider trüben Alltag flüchten. Da Baby aber noch beim Gangsterboss Doc (Kevin Spacey) in der Schuld steht und bei einem letzten großen Coup zu Seite stehen soll, gestaltet sich sein Plan jedoch weit schwieriger als erhofft.

Der grundsätzliche Plot des Films mag zwar nicht allzu originell klingen und manch Person vielleicht an Nicolas Winding Refn’s „Drive“ (2011) erinnern, jedoch was Wright aus diesem Konzept rausholen konnte resultierte in einen der einzigartigsten Kinofilme, die ich in den letzten Jahren zu Gesicht bekommen habe. Bereits in der dialoglosen Eröffnunssequenz wird einem deutlich gemacht, wer hier im wahrsten Sinne des Wortes den Ton angibt: der Soundtrack. Von „Bellbottoms“, über „Egyptian Reggae“ hin zu „Easy“ von The Commodores – die Playlist des Films ist von vorne bis hinten mit mal mehr mal weniger bekannten, aber stets eingängigen Songs gespickt. Im Gegensatz zu den meisten heutigen Blockbustern („Suicide Squad“ lässt grüßen) wirken die Songs jedoch an keiner Stelle fehlplatziert oder forciert eingesetzt – das Gegenteil ist hier der Fall: Der Soundtrack dient stets als Hilfsmittel, um den Plot voran zu bringen und verleiht dem Film - ohne je dabei zum Gimmick zu verkommen – schon fast einen Musical-artigen Charakter. Das musikalische Element hätte den Film wohl kaum so viel Antriebskraft gegeben, hätte da nicht die technische Expertise hinter der Kamera ihren Senf dazugegeben. Besonders hervorzuheben wäre hierbei der unglaublich dynamische Schnitt seitens Paul Machliss (war auch bei den beiden vorherigen Werken Wrights für das Editing verantwortlich): Egal ob nun das Zuschmeißen von Autotüren, das Umschalten einer Ampel oder gar die Schüsse einer Waffe – ein jedes kleinste von Kameramann Bill Pope eingefangene visuelle Detail wurde exakt auf den Takt des gerade zu hörenden Songs zugeschnitten. Bei dieser technischen Meisterleistung hat der großartige Ton beziehungsweise Tonschnitt noch ein Sahnehäubchen oben drauf gesetzt, denn auch ein jeder Soundeffekt wurde haargenau und absolut authentisch eingesetzt.

Was auf alle Fälle auch Erwähnung finden sollte, sind die atemberaubenden Action-Sequenzen und Set-Pieces. Ähnlich wie es George Miller beim meisterhaften „Mad Max: Fury Road“ tat, entschied sich auch Edgar Wright dazu, für die Verfolgungsjagden so wenig CGI wie möglich zu verwenden und diese mithilfe von Storyboards im Vorhinein zu skizzieren. Diese Entscheidungen verhalfen der Action des Films zu einer Kohärenz und Verspieltheit, die man im heutigen Kino meist kläglich vermisst. Besonders eindrucksvoll ist dabei eine farbenfrohe und mit vielen Longtakes gefilmte Verfolgungsjagd im letzten Drittel, die mich aufgrund eines begleitenden jodel-ähnlichen Tunes an „Raising Arizona“ (1987) (wohlgemerkt einer der Lieblingsfilme von Edgar Wright) von den Coen-Brüdern erinnerte. Zumindest in den technischen Kategorien darf man den Film auf jeden Fall bereits als Hauptanwärter auf manch Oscar-Nominierung fürs nächste Jahr vorhersagen.

Auch abseits der technischen Raffinesse weiß der Film in vielerlei Belangen zu punkten. Das Drehbuch ist abgesehen von den Wright-typischen visuellen Gags auch mit zahlreichen charmanten und cleveren Witzen gefüllt. Auch an Popkulturreferenzen wird hier nicht gespart: Ob nun eine Verwechslung zwischen Serienmörder Michael Myers aus den „Halloween“-Filmen und „Austin Powers“-Star Mike Myers, dem Rezitieren von Phrasen aus Pixars „Monster-AG“ oder einem klar an „Bonnie & Clyde“ angelehnten Gangster-Pärchen – Wright konnte hier wieder sein enormes Filmwissen unter Beweis stellen.

Auch mit den liebevollen Charakterzeichnungen weiß der Film durchaus zu überzeugen. Trotz der klar überzeichnet dargestellten und zum Teil schon cartoonish wirkenden Figuren, gelang es Wright einigen der Charaktere ein unerwartetes Maß an Tiefe zu verleihen, um deren Handlungen für den Zuschauer nachvollziehbarer zu gestalten. Zwar mag die Romanze zwischen Baby und Debora auf den ersten Blick ein wenig gekünstelt wirken, bei genauerer Überlegung passt diese jedoch komplett zu deren jeweiligen Charakterzügen und Motiven. Das durch die Bank großartig besetzte Schauspielensemble leistet dabei noch das Übrige. Ansel Elgort schafft es in vielen der dialogfreien Szenen auf der einen Seite die Coolness und Leichtigkeit seines Charakters, jedoch in anderen Momente auch dessen Verzweiflung und inneren Ängste gekonnt auf den Punkt zu bringen. Lily James („Cinderella“) verlieh der Figur Deborah ein Maß an Charme, sodass man sich ähnlich wie Baby schon bald in ihren Charakter verliebt. Kevin Spacey liefert als strenger aber trotzdem verständnisvoller Gangsterboss Doc einen seiner besten Kinoauftritte seit Jahren und Jamie Foxx gelang es den gewalttätigen Gangster Bats so eklig und unausstehlich wie nur möglich zu verkörpern. Das schauspielerische Highlight des Films bietet in meinen Augen jedoch „Mad Men“-Star Jon Hamm, der in seiner Verkörperung des psychopathischen aber dennoch charismatischen Gangsters Griff komplett aufgeht. Zu guter Letzt sei noch die sympathische Darstellung von Babys tauben Ziehvater Joseph zu erwähnen, der vom tatsächlich tauben Darsteller CJ Jones gespielt wurde.

Alles in allem lässt sich somit sagen, dass Edgar Wright’s Passionsprojekt sich als mit charmanten Gags, unerwarteten Wendungen und zahlreichen kreativen Einfällen gespicktes Action-Thriller-Musical in in inszenatorischer Perfektion entpuppte, dessen ansteckende Energie für mich inmitten eines von Fortsetzungen geplagten Sommer in ein unvergessliches Kinoerlebnis kulminierte!

„Baby Driver“ ist das filmische Äquivalent einer Sinfonie und Wright der glorreiche Maestro. Bravo!
 
 

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